Norwegens Bausektor im Wandel – Geschäftschancen für deutsche KMU

Digitalisierung, Innovation, Klimaneutralität – die norwegische Baubranche will ihre Rentabilität und Nachhaltigkeit langfristig steigern. Zu den Maßnahmen gehören eine höhere Produktion und Industrialisierung, effizientere Prozesse durch den Einsatz von Automation und Robotik sowie der Einbezug von Nachhaltigkeits- und Umweltaspekten. Politik und Industrie arbeiten gemeinsam an einem zukunftsorientierten Bausektor – und dieser bietet auch gute Geschäftschancen für deutsche Akteure.

Mit knapp 58 500 registrierten Unternehmen bilden Hoch- und Tiefbau die größten Industriesektoren der norwegischen Gesamtwirtschaft (ohne Öl- und Gasindustrie). Nach einem Corona-bedingten Aktivitätsrückgang in der Baubranche in der Mitte des Jahres 2020 ist die Produktionsaktivität zum Jahresende wieder gestiegen. Ende 2019 lag der Umsatz des gesamten norwegischen Bausektors  bei 63 Mrd. Euro.

Digitalisierung und Elektrifizierung für einen zukunftsgerichteten Bausektor

Die Offshore- oder Fertigungsindustrie haben ihre Prozesse teilweise schon vor Jahrzehnten automatisiert. Im Bausektor gab es jedoch seit 1990 keine gemessene Produktivitätssteigerung. Als Hochkostenland muss Norwegen diesen Sektor digitalisieren und die interdisziplinäre Koordination aller Akteure smarter gestalten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Potenzial einer vollständigen Digitalisierung der norwegischen Baubranche liegt bei einer geschätzten Gewinnrealisierung von 10 Mrd. Euro pro Jahr.

Im Zuge seiner Klimaziele will Norwegen auch die Emissionen aus dem Bausektor nachhaltig senken. Die direkten Emissionen betragen heute ungefähr 600 000 bis 700 000 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr. Ziel ist die flächendeckende Einführung von Niedrig- oder Nullemissionslösungen sowie ein starker strategischer Fokus auf der Entwicklung neuer Technologien.

Unter Leitung des Bauverbands BNL hat die Branche eine digitale Roadmap, die sog. „Digitalt veikart 2.0“ erarbeitet. Sie definiert den übergeordneten Rahmen für die Entwicklung eines vollständig digitalen, wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Bausektors bis 2025. 2021 veröffentlichte die norwegische Regierung zudem ein Whitepaper zur Klimapolitik und zu Maßnahmen, anhand derer das Land bis 2030 seine Klimaziele erreichen möchte. Dabei wurde auch ein Maßnahmenplan vorgestellt, wie das Ziel der fossilfreien Baustellen im Verkehrssektor bis 2025 realisiert werden soll. Dies ermöglicht die Durchführung von Pilotprojekten, die eine größere Nachfrage auf dem Markt zu emissionsfreien Maschinen bewirken sollen. Ergänzend zu diesen Zielen hat die norwegische Regierung beschlossen, dass ab 2022 keine durch Mineralöl betriebenen Geräte auf norwegischen Baustellen mehr genutzt werden dürfen.

Digitalisierungsvorhaben und Potenzialtechnologien

Trotz des hohen unausgeschöpften Potenzials hat Norwegen beispielsweise durch die Implementierung von Building Information Modelling (BIM) eine international führende Position bei der Nutzung digitaler Modelle erlangt. Da bei der bisher vorherrschenden Fragmentierung in der Nutzung von BIM-Modellierungssystemen noch keine Gewinne realisiert werden können, besteht ein Bedarf an zentraler Koordinierung der Modellierungsprozesse. Durch digitale Technologien und IoT-Lösungen werden sich die Wertschöpfungsketten im Bausektor gänzlich ändern, denn die Nutzung generierter Daten ermöglicht eine effektivere Planungs- und Bauphase. Die öffentlichen Bauherren in Norwegen zeigen grundsätzlich eine hohe Bereitschaft, neue Technologien auf Pilotniveau zu testen, um damit eine Skalierung unter kommerziellen Auftraggebern zu erreichen.

Weitere Potenziale für die Effizienzsteigerung bestehen in der Anwendung von Technologien und Modellen, die zu einer zunehmenden Standardisierung und Automatisierung führen, wie z.B. BIM-Modelle. Diese werden in der norwegischen Baubranche zunehmend angewendet und ermöglichen ebenfalls effizientere Prozesse sowie einen höheren Nachhaltigkeitsfaktor aus der Lebenszyklus-Perspektive eines Bauprojektes. Ferner ist die Reduktion von Fehlern und somit auch Mehrkosten ein positiver Effekt, den sich die Branche von der Nutzung digitaler Technologien verspricht.

Auch Lösungen für die Effizienzsteigerung administrativer Prozesse sind gefragt. Dazu gehören u.a. digitale Systeme für das Dokumentmanagement, zur Allokation und Belegung von Ressourcen und Ausrüstungen sowie zur Projektdokumentation.

Innovationsprojekte im norwegischen Bausektor

Einige dieser Lösungen wurden und werden derzeit in zahlreichen Pilotprojekten getestet:

  • Das Projekt Ferjefri E39 („Fährenfreie E39“) ist das derzeit größte Verkehrsbauprojekt des Landes. Bis 2029 soll die Streckenführung zwischen Kristiansand und Trondheim gänzlich ohne Fährstrecken sein, sowohl um CO2-Ausstöße durch den Fährbetrieb zu reduzieren als auch um die Fahrstrecke zu verkürzen. Durch den Einsatz automatisierter und robotisierter Technologien im Brücken- und Tunnelbau verspricht sich die norwegische staatliche Straßenbaugesellschaft Kosteneinsparungen von über 10 Mrd. NOK (ca. 1 Mrd. Euro).
Statens vegvesen
Statens vegvesen
  • 2017 hat der staatliche Bauherr Statsbygg die Initiative Digibygg ins Leben gerufen, im dessen Rahmen mehrere Pilotprojekte zum Thema „papierlose Baustelle“ durchgeführt worden sind, u.a. bei einem Hochschulgebäude in Halden. Inzwischen hat Statsbygg in allen Ausschreibungen die papierlose Baustelle als Anforderung implementiert und nutzt ferner AR- bzw. VR-Technologie zur Simulation bei Sicherheitsbelehrungen.
  • Im Bereich der emissionsfreien Baustellen konnte beispielsweise der größte norwegische Generalunternehmer, Veidekke ASA, zwei Vorbildprojekte durchführen: Der Bau eines 5 km langen Tunnels in der Region Sogn und der Bau eines Umspannwerks in Oslo waren die ersten beiden „fossilfreien“ Baustellen in Norwegen.
  • Mit dem Ausbau der Fornebubanen im Westen Oslos befindet sich das landesweit größte U-Bahn-Projekt seit den 1970er Jahren in der Entwicklungsphase. Die Ingenieurbüros COWI und Multiconsult sowie das Generalunternehmen Skanska planen hier, eine breite Vielfalt an neuen Arbeitsmethoden und Technologien wie Augmented Reality (AR), Gamification und Robotik zu nutzen.
  • Der deutsche Baumaschinenhersteller Liebherr hat an einem internationalen Vorbildprojekt in Norwegen mitgewirkt. Im Zuge des Ausbaus der Bybane (Stadtbahn) in Bergen ist das erste batteriebetriebene Bohrgerät der Welt bei der Tunnelbohrung zum Einsatz gekommen.

Digitale Leistungsschau Construction 4.0 und emissionsfreies Bauen

Deutsche Akteure können mit ihren Lösungen zur Effizienzsteigerung und Digitalisierung im norwegischen Bausektor beitragen. Dazu gehören Anbieter von BIM-Tools, Sensorik, Cloudlösungen, Big Data, 3D-Druck und RFID-Technologien. Aber auch emissionsarme und emissionsfreie Baumaschinen, Simulations- und Drohnentechnologien, Automations- und Robotiklösungen oder auf künstliche Intelligenz basierende Technologien für alle Phasen der Wertschöpfungskette im Bausektor sind gefragt.

„Anbieter solcher Produkte und Lösungen erhalten durch die Teilnahme an unserer Leistungsschau eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich im Zielland zu präsentieren und ihre Absatzchancen in Norwegen zu erhöhen. Die Vernetzung mit passenden Multiplikatoren ist beim Einstieg in den norwegischen Markt eine effiziente Starthilfe“, so Projektleiterin Sybille Köhler.

Informationen und Registrierung zur digitalen Leistungsschau finden Sie hier.