B2B e-Commerce in Norwegen

Digitale Kanäle sind zu einem unverzichtbaren Instrument im internationalen Handel und bei der Erschließung von Auslandsmärkten geworden. In keinem anderen europäischen Land nutzt die Bevölkerung das Internet so viel wie in Norwegen. Die digitale Kompetenz in der Bevölkerung und das Vertrauen in neue Technologien sind hoch. Hinzu kommt, dass sich das Einkaufsvolumen der norwegischen Verbraucher von 2019 auf 2020 verdoppelt hat. Diese Gewohnheiten und die allgemein hohe Kaufkraft beeinflussen auch die Geschäftswelt. Wie können deutsche Unternehmen mittels digitaler Kanäle norwegische Geschäftskunden gewinnen?

In diesem Blogbeitrag interviewt Dr. Georg Wittmann, Geschäftsführer von ibi research an der Universität Regensburg und Geschäftsführer des deutschen Kompetenzzentrums für digitalen Handel, Bård Larvoll vom norwegischen E-Commerce-Dienstleister YDP. Gemeinsam mit dem norwegischen Handelsverband Virke hat YDP die Reife des norwegischen Business-to-Business (B2B) E-Commerce Marktes analysiert. Dabei handelt es sich um die erste Untersuchung dieser Art.

Das Kompetenzzentrum Handel unterstützt die Digitalisierung des Handels, vor allem kleine und mittlere stationäre Einzelhändler.

Dr. Wittmann: B2C ist in aller Munde. Weniger Beachtung findet der B2B E-Commerce. Worin unterscheiden sie sich und was zeichnet den B2B E-Commerce aus?

Larvoll: Im B2C E-Commerce ist der Käufer in den meisten Fällen auch der Endnutzer, aber im B2B E-Commerce ist das weniger häufig der Fall. Dieser Unterschied ist von entscheidender Bedeutung, da ein Käufer im B2B E-Commerce viele Endnutzer repräsentiert. Die Folgen einer schlechten Customer Journey können in finanzieller Hinsicht schwerwiegender sein. Wenn Sie ein bestehendes Kundenverhältnis von einem analogen Vertriebskanal in einen digitalen übertragen wollen, muss die Qualität der Customer Journey besser sein. Andernfalls wird der Kunde sein Verhalten nicht ändern.

Um im B2B E-Commerce erfolgreich zu sein, müssen viele Aspekte berücksichtigt werden, zum Beispiel Top-of-Funnel-Marketing, Lead-Pflege, Verkaufskonvertierung, Versand und Fulfillment Management. Aber ich denke, es ist wichtig, all diese Dinge als Werkzeuge zu sehen, um das zu erreichen, was zählt. Und das ist die Kundenbeziehung.

Dr. Wittmann: Wie würden Sie den norwegischen B2B E-Commerce Markt beschreiben?

Larvoll: Im europäischen Vergleich ist der norwegische B2C E-Commerce sehr weitentwickelt. Die Bevölkerung ist kaufkräftig und dem E-Commerce gegenüber sehr aufgeschlossen. Außerdem gibt es viele Start-ups, die neue und moderne Dienstleistungen für dieses Segment anbieten. Dahingegen befindet sich der norwegische B2B E-Commerce noch in einer frühen Wachstumsphase.

Es gibt keine etablierten B2B Marktplätze. Viele Unternehmen arbeiten derzeit noch mit Online-Katalogen, die sie auf ihren Webseiten veröffentlichen, ihre Kunden sind oft Nachzügler bei der Einführung neuer Technologien und die Preisstrukturen sind recht komplex.

Aber es gibt Anzeichen dafür, dass sich dies ändert. Laut dem skandinavischen B2B-Bericht für 2021 haben 15 Prozent aller B2B-Unternehmen einen eigenen E-Commerce Leiter. In größeren Unternehmen steigt diese Zahl auf 25 Prozent. Eines der größeren Hindernisse für viele dieser Unternehmen, die ihre Produkte online verkaufen möchten, ist der Mangel an qualitativ hochwertigen Daten. Ihr ERP-System ist oft veraltet und muss aktualisiert oder ersetzt werden, bevor die erforderlichen Daten bereitgestellt werden können.

Dr. Wittmann: Welche Trends beobachten Sie im norwegischen B2B E-Commerce Markt?

Dr. Georg Wittmann

Geschäftsführer des Forschungszentrums ibi research an der Universität Regensburg GmbH und Geschäftsführer des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Handel, der Förderinitiative Mittelstand-Digital des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie

Larvoll: Wie bereits erwähnt, befindet sich der norwegische Markt in einer frühen Wachstumsphase. Etwa die Hälfte aller Unternehmen hat ihre Customer Journey erfasst, aber die meisten Unternehmen konzentrieren sich auf Kennzahlen im Top-of-Funnel Bereich, wie Online-Verkäufe und Webseitenaufrufe. Lediglich 12 Prozent der Unternehmen misst gezielt die Kundenzufrieden bei Online-Geschäften.

Nur etwa die Hälfte der kleineren Unternehmen verfügen überhaupt über einen Webshop. Dahingegen sind 57 Prozent der größeren Unternehmen schon seit 5 Jahren im digitalen Vertrieb tätig. Sie alle erwarten, dass ihre Online-Umsätze in den nächsten Jahren wachsen werden. 27 Prozent von ihnen prognostizieren einen Anstieg von 25 Prozent.

Dr. Wittmann: Was erwarten norwegische Einkäufer von ihren Lieferanten?

Larvoll: In erster Linie, dass alles funktioniert. Käufer sind es gewohnt, dass ihre Lieferanten echten Einsatz zeigen, wenn es darum geht, ihre Bedürfnisse zu erfüllen. In einigen Branchen, wie z.B. bei Sanitärinstallationen oder Autoteilen werden schnelle Lieferungen, konkurrenzfähige Preise und die Möglichkeit, kurzfristig zu bestellen, erwartet.

Darüber hinaus sind Rabatte, eine vollständige Bestellübersicht und Berichte, gute Integrationen sowie eine enge und persönliche Beziehung zu ihren Lieferanten wichtig. Vertrauen ist hier ein Schlüsselwort und viele Lieferanten legen besonderen Wert darauf, denn sie wissen, dass ein Kunde mit engem Kontakt zu seinem Key Account Manager, ein loyaler Kunde ist.

Dr. Wittmann: Was sind Ihrer Meinung nach die Herausforderungen des B2B E-Commerce als Geschäftsmodell?

Larvoll: Das größte Hindernis, das es zu überwinden gilt, sind die bestehende Routinen, die über viele Jahre entwickelt und erprobt wurden. Auf viele B2B-Kunden können digitale Plattformen kompliziert wirken. Sie ziehen es vor, „ihren“ persönlichen Ansprechpartner beim Lieferanten zu haben, um die besten Preise, schnelle Lieferungen, eine gute Beratung und einen guten Kundenservice zu erhalten, wenn etwas schief geht, sowie die Möglichkeit, schnell eine Nachbestellung aufgeben zu können, wenn für ein wichtiges Projekt plötzlich dringend benötigte Komponenten ausgehen.

Bård Larvoll

Bård Larvoll war in den letzten 15 Jahren in verschiedenen Management-, Lehr-, Vertriebs- und Beratungspositionen tätig und sammelte zuletzt Erfahrungen in den Bereichen Unternehmensumstrukturierung, strategische Planung, Unternehmensberatung, IT, Vertrieb, E-Commerce, Weiterbildungen und Einkauf auf verschiedenen Ebenen. Larvoll ist seit vielen Jahren auch als Lehrender an der Heriot-Watt University tätig und hat einen Master in Business and Administration.

Es gibt noch eine weitere Perspektive, die berücksichtigt werden muss: Die des Verkaufspersonals selbst. Sie sehen den E-Commerce möglicherweise als Bedrohung für ihre etablierten Arbeitsabläufe und vor allem für ihren Umsatz. Für den erfolgreichen B2B E-Commerce ist ein gutes Onboarding des Vertriebspersonals unabdingbar. Dieses kann dann das jeweils eigene Kundennetzwerk nutzen, um diese vom Online-Einkauf zu überzeugen. So wird der Webshop zu einem Verkaufstool, das sowohl Mitarbeiter als auch Kunden nutzen wollen.

Dr. Wittmann: Über welche Kanäle können norwegische B2B-Kunden erreicht werden?

Larvoll: Bislang gibt es kaum spezifische B2B-Marktplätze. Die norwegische Plattform „Finn.no“ ist in erster Linie ein B2C-Kanal, aber auch einige B2B-Dienstleistungen gibt es dort. Abgesehen davon ist die eigene Website der wichtigste Kanal.

Dr. Wittmann: Wie sieht gute Kundenpflege im B2B E-Commerce aus?

Larvoll: Es geht darum, auf die Bedürfnisse des Kunden einzugehen. Den folgenden 3 Punkten sollte besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden: eine personalisierte Customer Journey, exzellenter Kundenservice und Offenheit für ehrliches Kundenfeedback.

Dr. Wittmann: Wir wird Erfolg im B2B E-Commerce gemessen? Welche Kennzahlen sind für einen Verkäufer wichtig?

Larvoll: Es kann zwischen zwei Kategorien unterschieden werden: E-Commerce einerseits und B2B-Verkäufe andererseits. Im E-Commerce werden Kundenakquisitionskosten (Customer Acquisition Costs), die Rentabilität von Werbeausgaben (Return on Advertising Spend), Anzahl der Öffnung von E-Mail und SMS-Nachrichten sowie Klickraten, Kundenbindung, die sogenannte Sales Conversion und der durchschnittliche Bestellwert gemessen.

Für B2B-Verkäufe kommen andere Kennzahlen ins Spiel, wie z. B. Onboarding nach Kundensegment, Häufigkeit der Online-Bestellungen, die Zufrieden der Käufer mit der zur Verfügung stehenden E-Commerce-Lösung und die Anzahl der Bestellungen, die außerhalb der Geschäftszeiten aufgegeben werden.

YDP ist ein norwegischer E-Commerce-Anbieter mit Sitz in Oslo. Das Unternehmen wurde 2018 von drei erfahrenen Vertriebsprofis gegründet. Mit Erfahrungen aus dem Einzelhandel und der Abwicklung komplexer B2B-Prozesse sowie den Themen CRM, ERP, Beschaffungswesen und E-Commerce-Plattformen hat sich das Team schnell als ein führender E-Commerce-Anbieter auf dem norwegischen Markt etabliert.

Da sowohl B2B als auch B2C Lösungen angeboten werden, ist das Kundenportfolio von YDP vielfältig. Dazu gehören unter anderem Unternehmen aus der Kosmetikindustrie, aber auch aus der Baubranche. Das Hauptziel dieses jungen Dienstleisters ist es, KMUs, Händlern und Produzenten zu helfen, sich mithilfe einer gut durchdachten digitalen Strategien von der Konkurrenz abzuheben

Dr. Wittmann: Welche Technologien haben Ihrer Meinung nach den B2B E-Commerce optimiert?

Larvoll: Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den B2B E-Commerce sind die B2C-Erfahrungen der Käufer. Sie nutzen als Verbraucher im Privatleben diverse E-Commerce-Plattformen und Dienste. Diese beeinflussen, bewusst oder unbewusst, ihr Verhalten und ihre Erwartungen im Arbeitsleben, wenn sie im Auftrag anderer einkaufen.

Außerdem hat die schnelle Entwicklung von Software-as-a-Service (SaaS) dafür gesorgt, dass Technologien, die früher nur großen Unternehmen zugänglich war, heute einer breiteren Masse zur Verfügung steht. Reduzierte Kosten und eine einfachere Implementierung beschleunigen die Entwicklung.

Dr. Wittmann: Welche Partner oder Dienstleister sind Ihrer Erfahrung nach notwendig, um im B2B E-Commerce erfolgreich zu sein?

Larvoll: Es gibt eine ganze Reihe von Drittanbietern, teilweise mit sehr branchenspezifischen Lösungen. Aber ganz allgemein sind Zahlungsdienstleistungen, Buchhaltung und Logistik entscheidend für ein erfolgreiches E-Commerce-Geschäft.

Dr. Wittmann: Was sollten deutsche Unternehmen, die als Verkäufer auf dem norwegischen B2B E-Commerce Markt tätig werden wollen, beachten?

Larvoll: Norwegen ist ein Land mit großen Entfernungen zwischen den Städten und die Ballungsräume sind aus deutscher Sicht recht klein. In Norwegen leben rund 5,3 Millionen Menschen und etwa 51 Prozent leben in den südöstlichen Landesteilen, in oder um Oslo. Die anderen Großstädte liegen im Westen und in der Mitte des Landes. Mit vielen dünn besiedelten Gebieten, Bergen und Fjorden ist die Verteilung von Gütern in Norwegen recht teuer und die Anzahl der Transportdienstleister ist relativ gering.

Andererseits sind norwegische Kunden an späte Annahmeschlusszeiten beim Einkauf von Produkten gewöhnt. Sie kaufen oft in größeren Mengen ein, erwarten einen umfassenden Kundenservice, sind preisbewusst, erwarten ansprechende Rabatte, sind risikoscheue Käufer und wollen mit ihren Lieferanten langfristige Beziehungen aufbauen.

Diese Attribute machen sie zu einem anspruchsvollen Kunden, aber mit einer allgemein hohen Kaufkraft. Lieferanten, die es schaffen, die Erwartungen und Bedürfnisse der norwegischen Kunden zu bedienen, können profitable Geschäfte erwarten.

Dr. Wittmann: Welche Erfahrungen haben Sie bei der Arbeit mit norwegischen B2B-Kunden gemacht?

Larvoll: Norwegische Kunden haben einen starken Fokus auf langfristige Partnerschaften. Das Streben nach gegenseitiger Wertschöpfung gilt als gesunder Indikator für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Mit einer starken Betonung der persönlichen Beziehung zwischen dem Lieferanten und dem Kunden und vielen festen Gewohnheiten ist die Implementierung einer B2B-Plattform in der Regel ein sehr umfassendes Projekt, das ein professionelles Change-Management erfordert.

Hohe Kundenanforderungen haben zu einem hohen Grad an Individualisierung geführt. Es gibt nur wenige Standards, denen man folgen muss. Trotz ihrer gesteigerten Kaufkraft sind unsere norwegischen Kunden sehr preisorientiert und viele Branchen haben ein recht komplexes Preisgefüge.

Die Unternehmen sind häufig als „Silo-Organisationen“ strukturiert. Daher müssen viele interne Richtlinien und Rahmenbedingungen neu definiert werden, da alles von Marketing, über IT und Buchhaltung bis hin zur Logistik betroffen ist.


Am Montag, den 28. Juni 2021 lädt die AHK Norwegen zu einem Webinar zum Thema B2B e-Commerce in Norwegen ein. Neben Dr. Wittmann und Bård Larvoll werden weitere Experten Tipps geben und ihre Erfahrungen mit dem Publikum teilen. Seien Sie dabei, um mehr über das Thema zu lernen und stellen Sie den Experten Ihre Fragen!