Gastkommentar von:
Olav Øye, Seniorberater für CO2-Abscheidung und -Speicherung, Umweltschutzorganisation Bellona
Die EU-Kommission und immer mehr Mitgliedsstaaten streben bei Treibhausgasemissionen eine grüne Null an. Und dies betrifft ausnahmslos alle Branchen.
Die Kommission verfolgt die Vision von Netto-Null-Emissionen bis 2050. Schweden (2045) und Finnland (2035) werden dieses Ziel voraussichtlich noch früher erreichen. Dänemarks neue Regierung will die Emissionen bis 2030 um 70 Prozent senken.
Was bedeutet das für die Wirtschaft und die Industrie? Klimaziele haben in vielen Fällen bisher nur begrenzte Effekte gezeigt. Das liegt teilweise daran, dass diese zu niedrig angesetzt waren oder daran, dass nur Teile der Wirtschaft ernsthaft über eine Reduzierung der Emissionen nachgedacht haben. Das Nullemissionsziel wird nun alle Branchen dazu zwingen, ihre Einsparungspotentiale zu prüfen.
„Europa muss jetzt eine CO2-Infrastruktur aufbauen und diese bereits in den 2020er Jahren in großem Umfang nutzen.“
Olav Øye, Seniorberater für CO2-Abscheidung und -Speicherung, Umweltschutzorganisation Bellona
Zudem fordert das Ziel eine ganzheitliche Klimapolitik sowie entsprechende Maßnahmen. Ein Beispiel aus Europa: Einige Akteure wollen Kohlenstoff aus industriellen Prozessen abspalten, mit emissionsfreiem Wasserstoff reagieren lassen und auf diese Weise Kraftstoff für herkömmliche Benzin- und Dieselmotoren herstellen. Dadurch werden die Emissionen jedoch nur von einem Sektor zum nächsten verschoben.
Wenn abgespaltener Kohlenstoff fossile Kraftstoffe verdrängt und dennoch in die Atmosphäre gelangt, wird der gesamte CO2-Ausstoß beider Emissionsquellen bestenfalls halbiert. Die direkte Elektrifizierung des Transportsektors durch eine emissionsfreie Stromerzeugung stellt eine bessere und effizientere Lösung dar.
CO2-Speicherung erfordert eine gemeinsame Infrastruktur
Erneuerbarer Strom wird dazu beitragen, große Teile des Transportsektors zu elektrifizieren. Für die Stahl-, Zement- oder chemische Industrie bleibt es jedoch schwierig oder sogar unmöglich, Emissionen durch den Einsatz erneuerbarer Energien zu beseitigen. Gleiches gilt für die Abfallwirtschaft. Die CO2-Emissionen aus der Müllverbrennung gehören in vielen Städten zu den größten Einzelemissionen. Das Nullemissionsziel dieser Sektoren erfordert die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS).
Dafür braucht es eine geeignete Infrastruktur: ein Netz mit Zwischenspeichern, Pipelines und Schiffen sowie dauerhafte CO2-Lagerstätten in tiefen geologischen Formationen. Hierbei ist die europäische Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg. Häfen wie Rotterdam und Antwerpen planen CO2-Netzwerke, an die sich Industrieunternehmen in anderen Regionen und Ländern anschließen können. CO2-Schiffe können beispielsweise nach Norwegen liefern, das vor seiner Küste diverse Lagerstätten errichten will.
Der Quotenmarkt ist nicht genug
Angela Merkel teilte im Frühjahr mit, dass sie davon überzeugt ist, dass diese Technologie notwendig sei, um Emissionsfreiheit zu erreichen. Die deutsche Wissenschaftsakademie Acatech forderte 2018 eine erneute Debatte über die Rolle von CCS in der deutschen Klimapolitik. Aber unter welchen Voraussetzungen kann CCS in Norwegen, Deutschland und Europa funktionieren?
Es ist unter anderem notwendig, dass Branchen und Unternehmen den Politikern selbst mitteilen, welche Maßnahmen und welche Form der Unterstützung sie zum Erreichen der ambitiösen Ziele benötigen. Die Unterstützung des Baus von Demonstrationsanlagen zur CO2-Abscheidung ist ein Teil des Bildes. Netzwerk und Infrastruktur für den Transport und die Speicherung von Kohlenstoff sind weitere Punkte. Die Kosten müssen zwischen Unternehmen, Behörden und Kunden aufgeteilt werden. Und wir haben keine Zeit darauf zu warten, dass der Markt dies selbst regelt oder der CO2-Preis im EU-Quotensystem auf 100 oder 150 Euro pro Tonne steigt.
Um die Unsicherheit der Akteure zu beseitigen, schlägt Acatech in seinem 2018er Bericht einen öffentlich finanzierten Marktvermittler vor. Dieser kann frühzeitig eingesetzt werden, um die Vorhersehbarkeit und die Sicherheit der Speicherkapazitäten, des Zugangs zu CO2 und nicht zuletzt des Preises, den Klimasünder bezahlen müssen, zu gewährleisten.
CCS, Schließung oder Klimakrise
In der Praxis bedeutet das Nullemissionsziel die Wahl zwischen drei Alternativen. Erstens, die rasche Inbetriebnahme von CCS-Technologien. Zweitens, die Schließung von tausenden Industrieanlagen. Oder drittens, der fortbestehende Ausstoß von Treibhausgasemissionen mit der Konsequenz einer dauerhaften Klimakrise. Positiv ist, dass sich CCS-Technologien bewährt haben und funktionieren. Die EU-Kommission weist darauf hin, dass CCS einen der Hauptbereiche im Plan für die Nullemission bis 2050 darstellt. Es ist jedoch durchaus möglich, dass wir lange zuvor eine Erwärmung von 1,5 Grad erreichen werden. Deswegen muss Europa jetzt eine CO2-Infrastruktur aufbauen und diese bereits in den 2020er Jahren in großem Umfang nutzen.
Bellona ist eine weltweit aktive Umweltschutzorganisation, die sich vor allem in den Bereichen Klima- und Umweltschutz engagiert. 2018 veröffentlichte die Organisation den Bericht „An Industry’s Guide to Climate Action“.