Kommt die Ausweitung der allgemeinverbindlichen Tarifverträge?
„Gleiches Geld für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ – so lautet die politische Begründung der Novellierung der Entsenderichtlinie (Richtlinie EU/2018/957). Dass Norwegen dieses Motto schon länger beherzigt und deshalb einige der neuen Anforderungen schon lange an Entsender stellt, ist keine Überraschung. Dennoch wird es im arbeitnehmerfreundlichen Norwegen einige relevante Änderungen geben, auch wenn die konkrete Umsetzung noch nicht feststeht. Wir analysieren die wichtigsten Neuerungen und zeigen, wo mit Auswirkungen in Norwegen zu rechnen ist.
„Entlohnung“ statt „Mindestlohnsatz“
Die wohl zentralste Änderung der Richtlinie ist, dass entsendete Mitarbeiter nun nicht mehr nur den „Mindestlohnsatz“ des Ziellandes erhalten müssen, sondern für die gesamte „Entlohnung“ gleichgestellt werden (Art. 3 Abs. 1 c) Richtlinie EG/1996/71). Ob dies in der Praxis etwas ändern wird, hängt hauptsächlich von den Tarifparteien ab. Die Wortlautänderung gibt den Tarifparteien nämlich Spielraum, die allgemeinverbindlichen Tarifverträge auszuweiten und weitere Lohnbestandteile verpflichtend zu machen.
Das norwegische höchste Gericht Høyesterett hatte 2013 schon entschieden (HR-2013-00496-A), dass unter „Mindestlohnsatz“ auch Regelungen zu Kost und Logis, Reisen, Zuschläge für Arbeit bei der man nicht zu Hause wohnt und Überstundenbezahlung fallen. Da es Sache des nationalen Rechts bleibt, den Begriff „Entlohnung“ mit Leben zu füllen, darf man davon ausgehen, dass darunter nun mehr fallen wird als unter „Mindestlohnsatz“. Ob, und wenn ja wie, dies zu einer Ausweitung der allgemeinverbindlichen Tarifverträge führen wird, bleibt abzuwarten. Daneben gibt es nur eine gesetzliche Regelung, die das Thema Lohn behandelt, wonach man einen Überstundenzuschlag von 40 Prozent zu zahlen hat (§ 10-6-11 des norwegischen Arbeitsschutzgesetzes).
Norwegisches Arbeitsrecht bei Entsendung für mehr als 18 Monate
Für Mitarbeiter, die länger als zwölf Monate nach Norwegen entsendet werden, gilt in Zukunft norwegisches Arbeitsrecht. Dies gilt nicht für die Regelungen zum Abschluss und zur Beendigung des Arbeitsvertrags, einschließlich Wettbewerbsverbote und Regelungen zur zusätzlichen betrieblichen Altersversorgung.
In der Praxis wird norwegisches Arbeitsrecht erst nach 18 Monaten relevant werden, da bei Vorlage einer mit einer Begründung versehenen Mitteilung der Zeitraum automatisch von zwölf auf 18 Monate verlängert wird. Ein Überprüfungsrecht des Zielstaats besteht dabei nicht. Dies kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass man entsendete Mitarbeiter nach 18 Monaten austauscht, wenn der neue Mitarbeiter die gleiche Arbeit am gleichen Ort durchführt. Dann gilt auch für den neuen Mitarbeiter das norwegische Arbeitsrecht.
Noch unklar ist, ab wann die Regelungen des Zielstaats Anwendung finden sollen. Teilweise wird davon ausgegangen, dass dies bereits ab dem Zeitpunkt der Fall sein soll, an dem klar ist, dass der Aufenthalt zwölf beziehungsweise 18 Monate übersteigen wird. Andere gehen davon aus, dass die Regelungen erst mit Ablauf des Monats 12 beziehungsweise 18 greifen. Für letzteres sprechen Vorhersehbarkeit, mögliche Probleme der Rückwirkung und die Rechtssicherheit.
„Mittelbare“ grenzüberschreitende Leiharbeit
Bisher lag keine für den Verleiher relevante Entsendung vor, wenn ein entliehener Arbeitnehmer vom Entleiher in einem anderen Land eingesetzt wurde als dem Land, in dem er normalerweise für den Entleiher oder den Verleiher arbeitet.
Mit der Novellierung wird diese „mittelbare“ grenzüberschreitende Leiharbeit erfasst und verpflichtet den Verleiher, sofern dieser mit dem Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag hat, die Reglungen im Zielstaat zu berücksichtigen. Da eine solche Entsendung für den Verleiher häufig gar nicht erkennbar ist, muss der Entleiher den Verleiher über die Entsendung unterrichten.
Für Norwegen galt auch schon bisher, dass Verleiher aus dem Ausland, die Arbeitnehmer nach Norwegen verleihen, dieselben Regeln einhalten müssen wie Verleiher, die Arbeitnehmer innerhalb Norwegens entleihen.
Entsendezulage
Wird die Entsendezulage zum Lohn hinzugezählt? Bisher war dies nur der Fall, wenn die Zulage nicht für tatsächlich entstandene Kosten gezahlt wurde. Von nun an wird vermutet, dass die gesamte Entsendezulage in Erstattung von tatsächlich entstandenen Kosten gezahlt wird, also nicht Teil des Lohnes ist. Diese Vermutung ist zwar widerlegbar, wenn das nationale Recht des Zielstaates dazu bestimmte Regelungen trifft. In Norwegen finden sich jedoch keine Regelungen dazu, wie Entsendezulagen zu behandeln sind. Damit ist es wichtig, klar zwischen Entsendezulage und Erstattung von tatsächlich entstandenen Kosten zu unterscheiden. Ansonsten kann die Entsendezulage in Zukunft nicht zum Lohn hinzugerechnet werden.
Unterkunft, Kost und Logis
Beim Thema Unterkunft, Kost und Logis ändert sich in Norwegen nichts. Auch bisher waren Arbeitgeber schon verpflichtet (§ 4-4 des norwegischen Arbeitsschutzgesetzes), bestimmte Bedingungen für die Unterkünfte ihrer Mitarbeiter einzuhalten, wenn diese vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden. Auch Reisekosten, Kosten für Kost und Logis, die für den Weg vom gewöhnlichen Arbeitsort zum Ort, an dem die Leis-tung erbracht wird, mussten nach einigen allgemeinverbindlichen Tarifverträgen schon ersetzt werden. Die Richtlinie stellt nun noch einmal klar, was nach dem oben erwähnten Urteil des Høyesterett in Norwegen umstritten war, und erst nach einer Beschwerde bei der EFTA Surveillance Authority geklärt wurde: Reisekosten, Kost und Logis beziehen sich nur auf die Kosten, die innerhalb des Ziellands entstehen. Kosten für die Reisen zwischen Heimat und Zielland sind nicht erfasst.
Keine neuen Meldepflichten
Eine Verschärfung von Meldepflichten ist in Norwegen nicht vorgesehen. Die bestehenden Meldepflichten sind allerdings bereits sehr umfassend. Mögliche Meldepflichten können unter anderem eine Auftragsmeldung und Mitarbeitermeldung, die persönliche Anmeldung der Mitarbeiter, eine Anmeldung im Handelsregister und eine Umsatzsteuerregistrierung sein.
Fazit
Insbesondere bei Entsendungen von mehr als 18 Monaten und der Entsendung von entliehenen Arbeitnehmern werden Änderungen kommen. Ob eine Ausweitung der allgemeinverbindlichen Tarifverträge bevorsteht, ist und bleibt spannend. Wir halten Sie bezüglich der Umsetzung ins norwegische Recht und den Entwicklungen der Tarifverträge auf dem Laufenden.
Zudem sind noch zwei Nichtigkeitsklagen gegen die Änderungsrichtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof abzuwarten, auch wenn deren Erfolgsaussichten gering scheinen.
Friedrich-Maximilian Høines Scriba