CAPTin Kiel – eine Vision für die autonome Schifffahrt

Ab 2021 soll auf der Kieler Förde erstmals eine autonome Personenfähre testweise zum Einsatz kommen. Politik, Verwaltung, Industrie und Wissenschaft arbeiten derzeit gemeinsam an einer zukunftsweisenden Verkehrsinfrastruktur und könnten Kiel zum führenden Standort für die Entwicklung und Erprobung autonomer Schiffe sowie die Etablierung eines emissionsfreien Personennahverkehrs in Europa machen.

Nachdem an der Christian-Albrechts-Universität bereits im vergangenen Jahr erste Projekte zum autonomen Fahren in ländlichen Regionen initiiert wurden, koordiniert die Kieler Universität ein weiteres autonomes Verkehrskonzept: „In einem Bundesland mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien gibt es nicht nur den Bedarf für autonome Busse, es müssen gleichzeitig neue Lösungen für die Fähren auf der Förde gefunden werden“, meint Dr. Wiebke Müller-Lupp, Koordinatorin für transdisziplinäre Ozeanforschung im Uni-Schwerpunkt Kiel Marine Science, die gemeinsam mit Innovationsscout Dr. Karsten Pankratz die Projektleitung innehat.

Pilotprojekt für nachhaltigen und autonomen Verkehr

Im Rahmen des Projekts „CAPTin Kiel“, wobei CAPT für Clean Autonomous Public Transport steht, sollen diese Lösungen nun gefunden werden und eine integrierte Mobilitätskette ermöglichen. Die Kieler Förde ist dabei ein ideales Testfeld für die kombinierte Nutzung autonomer und umweltschonender Bus- und Fährlinien. „Unsere Vision ist es, dass die Förde bis 2030 ein selbstverständlicher Teil des Personennahverkehrs ist und dass der Verkehr emissionsfrei und autonom erfolgt – im Idealfall sogar „on demand“ per App steuerbar“, so Müller-Lupp.

„In einem Bundesland mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien gibt es nicht nur den Bedarf für autonome Busse, es müssen gleichzeitig neue Lösungen für die Fähren auf der Förde gefunden werden“

Dr. Wiebke Müller-Lupp, Koordinatorin für transdisziplinäre Ozeanforschung im Uni-Schwerpunkt Kiel Marine Science

Erste Skizzen für moderne Personenfähren

Kiel will langfristig eine nachhaltigere Verkehrsinfrastruktur schaffen, Wissenschaftsstandorte besser vernetzen und den Personennahverkehr auf der Kieler Förde stärken. Weiterhin sollen autonome Schiffe einen Beitrag zur überregionalen Strahlkraft Kiels als Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins leisten. Die Fähren sollen nämlich nicht nur ein reguläres Verkehrsmittel sein, sondern mit ihrem innovativen Design zum neuen Wahrzeichen Kiels werden und somit auch zu einer Attraktion für Touristen.

Um der neuen Form der Mobilität eine sichtbare Identität zu verleihen, haben Studierende des Industriedesigns an der Muthesius Kunsthochschule in Zusammenarbeit mit der regionalen Werft- und Zuliefererindustrie erste Gestaltungskonzepte erarbeitet – getreu dem Motto „Wissenschaft trifft Praxis“. Das Ergebnis sind Entwürfe für autonome Personenfähren für 40 Passagiere mit verschiedenen effizienten, regenerativen Antriebs- und Energiekonzepten, neuen Materialien, modernen Informations- und Steuerungssystemen sowie Verbindungen zur Bus- und Fahrradmobilität als Grundlage für neue Schiffbaukonzepte. Für die beteiligten Werften geht es nun an die Umsetzung.

Das Projektteam hat unterschiedliche Akteure aus den Bereichen Industrie, Wissenschaft, Verwaltung und kommunaler Politik für eine Mitarbeit gewonnen. Allein 14 Professuren aus fünf Fakultäten der Universität engagieren sich in dem neu gegründeten Netzwerk „SKAS – Systeme und Komponenten für autonome Schifffahrt“. Der Zusammenschluss aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Institutionen will Systeme, Komponenten, Sensoren, Technologien und Kommunikationsleistungen für teil- oder vollautonome Schiffe entwickeln und erforschen. Dabei liegt der Fokus sowohl auf vollautonomen als auch auf teilautonomen Technologien wie Assistenzsystemen zum automatisierten Anlegen.

„Unsere Vision ist es, dass die Förde bis 2030 ein selbstverständlicher Teil des Personennahverkehrs ist und dass der Verkehr emissionsfrei und autonom erfolgt – im Idealfall sogar „on demand“ per App steuerbar“

Dr. Wiebke Müller-Lupp, Koordinatorin für transdisziplinäre Ozeanforschung im Uni-Schwerpunkt Kiel Marine Science

Für den Bau einer fahrbereiten Fähre können die Industriepartner alle notwendigen Komponenten zur Verfügung stellen. Müller-Lupp sieht die größte Herausforderung deshalb nicht in der technischen Umsetzung, sondern in der Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Konsenses bei der Etablierung eines neuen Verkehrskonzeptes.

CAPTin Kiel ist aufgrund seines einzigartigen und komplexen Charakters ein Vorzeigeprojekt im Bereich der transdisziplinären Forschung. Regionale Wirtschaftsunternehmen profitieren durch Forschungs- und Kooperationsprojekte nicht nur in technologischen, sondern auch in sozialwissenschaftlichen Bereichen. Beispiele dafür sind Forschungsarbeiten zur Akzeptanz autonomer Mobilität in der Bevölkerung, zum Design vertrauenswürdiger Schiffe, zur Entwicklung digitaler Serviceangebote sowie innovativer Geschäfts- und Preismodelle. „Nur bei erfolgreicher Umsetzung aller Bausteine kann ein Innovationsprojekt wie CAPTin Kiel gelingen“, ist sich Innovationsscout Karsten Pankratz sicher.

Alle Mann von Bord?

Ab 2021 sollen unter Realbedingungen auf der Kieler Förde entsprechende autonome Systeme erprobt werden. „Aber auch wenn ein vollautonomer Betrieb dann schon technisch möglich sein wird“, so Pankratz, „werden am Anfang noch immer Kapitäne mit an Bord sein.“ Rechtliche Vorgaben zu Sicherheitsmaßnahmen wie der Notfallversorgung bei einer Havarie erschweren bislang den Einsatz unbemannter Fähren.

„Es wäre für uns ein großer Erfolg, wenn CAPTin nach einer Initialisierung auf der Kieler Förde auch in anderen Städten und Regionen zum Einsatz kommt.“

Karsten Pankratz, Innovationsscout

Trotzdem ist Kiel schon heute ein Vorreiter für autonome Schifffahrt im öffentlichen Personennahverkehr. Andere Städte blicken nach Aussage von Müller-Lupp bei der Planung zukunftsorientierter Verkehrskonzepte unter Einbindung von autonomen Fähren nach Kiel: Dazu Müller-Lupp: „Wir haben Anfragen aus unserer Partnerstadt Brest erhalten, die geografisch mit Kiel vergleichbar ist. Es wäre für uns ein großer Erfolg, wenn CAPTin nach einer Initialisierung auf der Kieler Förde auch in anderen Städten und Regionen zum Einsatz kommt.“

Julia Pape