Auf norwegischen Straßen fährt jedes 5. Auto mit Elektroantrieb, bei den Neuzulassungen betrug der Marktanteil 2022 79,3 Prozent. Der Trend zum Elektroauto ist nicht auf die Ballungsgebiete begrenzt, sondern hat das ganze Land erfasst. Möglich ist dies durch den steten Ausbau der Ladeinfrastruktur mit Schnellladestationen. Nachholdbedarf besteht bei der Benutzerfreundlichkeit der Ladepunkte und im Bereich Fernverkehr und Logistik.
Norwegen gilt als Klassenprimus im Bereich der Elektromobilität. Nirgendwo in Europa gibt es mehr Elektroautos pro Einwohnerzahl. Wie das statistische Zentralbüro (SSB) in Norwegen Ende März veröffentlichte, waren bis Ende 2022 599.169 Elektroautos zugelassen. Bei insgesamt knapp 2,9 Millionen zugelassenen Personenkraftwagen, fahren 21 Prozent voll elektrisch. Dies ist ein Zuwachs von 30 Prozent im Vergleich zu 2021, und laut dem norwegischen Verband für Elektrofahrzeuge Norsk elbilforening ein Marktanteil bei den Neuzulassungen von 79,3 Prozent. Damit hat Norwegen zwar nicht so viele Elektroautos auf den Straßen wie Deutschland, denn dort hat die Zahl der Elektroautos die Marke von 600.000 Stück überschritten. Aber im Verhältnis fuhren 2022 nur 1,3 Prozent der PKW auf deutschen Straßen mit Elektroantrieb.
Die norwegischen Regierungsziele sehen für die Entwicklung des Fahrzeugbestands vor, dass neue Personenkraftwagen ab 2025 emissionsfrei sind. „Erreicht Norwegen diese Ziele, werden bis 2030 1,7 Millionen E-Autos, also mehr als 58 Prozent, auf norwegischen Straßen unterwegs sein. Diese werden sich auf das ganze Land verteilen“, so Michael Kern, Geschäftsführer der AHK Norwegen.
Mit dem Elektroauto übers Land
Während in Deutschland die meisten E-Autos in den Städten der großen Hersteller unterwegs sind, entfielen in Norwegen 2022 nur noch 34 Prozent aller neu zugelassenen Elektro-Pkw auf die großen Städte Oslo, Bergen, Trondheim und Stavanger. Der größere Anteil der Elektroautos wird außerhalb der größten Städte verkauft.
Wie ist das möglich in einem Land mit 14 Einwohnern pro Quadratkilometer? Wie hat Norwegen es geschafft, eine Infrastruktur zu errichten, die es auch außerhalb der Ballungszentren ermöglicht, ein Elektroauto zu fahren?
Ein solches Wachstum erfordert, dass die Ladeinfrastruktur mit dem Verkauf von Elektrofahrzeugen Schritt hält – und nicht zum Hindernis für die Einführung dieser Fahrzeuge wird.
Fokus auf Schnellader
Stand heute gibt es in ganz Norwegen 24.614 öffentlich zugängliche Ladepunkte, darunter 3.601 im dicht besiedelten Oslo und 547 in der nördlichsten Provinz Troms og Finnmark, die mit 3,2 Einwohner pro Quadratkilometer am dünnsten besiedelt ist. Viel relevanter sind jedoch Schnellladegeräte, die ein effektives, zeitsparendes Laden unterwegs ermöglichen. Stand heute gibt es davon rund 4.000 in Norwegen. Bereits 2015 und 2016 hat die staatliche Enova ihre ersten Förderprogramme für die Ladeinfrastruktur durchgeführt, die zu 131 Schnellladestationen entlang der wichtigsten Autobahnen in Norwegen führten. 2022 gewährte Enova Unterstützung für weitere 58 Schnellladestationen in einem Mindestabstand von 25 km zu anderen, 11 normale Ladestationen in Gebieten ohne feste Straßenverbindung und eine normale Ladestation auf einem Bergpass.

Somit sind Schnellladestationen im ganzen Land zugänglich, auch in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte und wenig Verkehr. Nach einer Analyse des norwegischen Straßenamtes und der Umweltbehörde wird der Bedarf bis 2025 auf weitere 9.000, und bis 2030 auf 10-14.000 Schnellladegeräte für Pkw steigen. Der Ausbau muss somit weiter vorangetrieben werden.
Ein Dschungel an norwegischen Ladeanbietern
Nachholbedarf gibt es in der Benutzerfreundlichkeit der Ladepunkte. Nach Angaben des Institute of Transport Economics müssen sich Nutzer von E-Fahrzeugen heute mit bis zu 20 verschiedenen Betreibern, 20-30 Apps und 13 Zahlungssystemen auseinandersetzen, um Zugang zur gesamten Ladeinfrastruktur in Norwegen zu erhalten.
Um die Entwicklungen der Elektromobilität nachhaltig voranzutreiben und die Rahmenbedingung zu verbessern, hat die norwegische Regierung im Dezember 2022 eine Nationale Ladestrategie veröffentlicht. Sie soll unter anderem dazu beitragen, die kommerzielle Entwicklung von Ladediensten für Pkw und Transporter sowie die Netzkapazitäten weiterzuentwickeln, und die Ladeinfrastruktur benutzerfreundlicher zu machen. Darin enthalten sind unter anderem auch Vorschläge für die Verpflichtung zu einheitlichen Preisinformationen für das Aufladen, die Entwicklung einer benutzerfreundlichen App sowie die Erstellung eines norwegischen Standards für die universelle Gestaltung von Ladeinfrastruktur.
Zukunft für Personenverkehr und Logistik
Während der Ausbau für die Elektromobilität und Ladeinfrastruktur von PKW voranschreitet, steht beides für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr und für die Logistik noch relativ am Anfang der Entwicklung. Aber auch hier möchte Norwegen eine Vorreiterrolle einnehmen: Zum Beispiel liefert der deutsche Nutzfahrzeughersteller MAN Truck & Bus bis Ende 2023 76 vollelektrische Lion’s City E Busse, die für den öffentlichen Nahverkehr in Oslo eingesetzt werden sollen. Im Januar wurde bekannt, dass die Stadt Zuschüsse für 28 öffentlich zugängliche Ladepunkte für schwere, elektrische Lkw und Transporter gewährt. Das bedeutet eine gewaltige Ausweitung der Lademöglichkeiten: Aktuell gibt es nur eine öffentlich zugängliche Ladestation für schwere Fahrzeuge in ganz Norwegen – am Filipstadkaia in Oslo.