Advokatfirmaet Grette AS, Dr. Roland Mörsdorf / Elisa Eichstetter, Legal Member der AHK Norwegen
Die meisten norwegischen Gesellschaften sind als Aksjeselskap – AS organisiert, die sich mit der deutschen GmbH vergleichen lässt. Die Geschäftsführung der AS besteht – zwingend – aus dem Verwaltungsrat (Styre) und – freiwillig – aus einem Geschäftsleiter (Daglig Leder). Der Geschäftsleiter ist für die Angelegenheiten der täglichen Geschäftsführung zuständig, während der Verwaltungsrat für alles, was darüber hinausgeht, verantwortlich ist. Wenn eine AS keinen Geschäftsleiter hat, übernimmt der Verwaltungsrat die Aufgaben der täglichen Geschäftsführung.
Gemäß dem norwegischen GmbH-Gesetz (Aksjeloven) haften sowohl die Verwaltungsratsmitglieder als auch der Geschäftsleiter für vorsätzliche und fahrlässige Fehler gegenüber der AS, deren Gesellschaftern und Dritten. Diese Haftung ist nicht nur theoretischer Natur, sondern Gegenstand einer Vielzahl von Gerichtsentscheidungen und spielt daher in der Praxis eine erhebliche Rolle. Das Landgericht Frostating (Frostating lagmannsrett), Trondheim, hat Anfang dieses Jahres in einem aktuellen Urteil (LF-2021-93302) die Grundsätze der Geschäftsführungshaftung systematisch zusammengefasst.
Eine Haftung liegt danach – in aller Regel – im Falle einer Verletzung der Bestimmungen des norwegischen GmbH-Gesetzes vor. In einem ersten Schritt ist also zu prüfen, ob ein Verwaltungsratsmitglied oder der Geschäftsleiter durch sein Handeln oder Unterlassen gegen eine Bestimmung des norwegischen GmbH-Gesetzes verstoßen hat. Diese Prüfung ist für jedes Verwaltungsratsmitglied und den Geschäftsleiter gesondert vorzunehmen, da die Haftung eine persönliche Schuld in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetzt.
Bei der Prüfung ist vor allem an die Geschäftsführungsaufgaben des Verwaltungsrats und des Geschäftsleiters gemäß dem norwegischen GmbH-Gesetz anzuknüpfen. Danach muss der Verwaltungsrat u.a. für eine ordnungsgemäße Verwaltung der AS sorgen und die tägliche Geschäftsführung durch den Geschäftsleiter beaufsichtigen. Der Geschäftsleiter seinerseits muss u.a. die Aufgaben der täglichen Geschäftsführung ordnungsgemäß ausführen und dabei den Weisungen des Verwaltungsrats Rechnung tragen. Was auf den ersten Blick eindeutig wirkt, bedarf auf den zweiten Blick einer Konkretisierung. Es muss nämlich für den Einzelfall festgelegt werden, was diese Grundsätze eigentlich bedeuten.
In einem zweiten Schritt ist daher zu prüfen, wie diese Grundsätze für die einzelne AS in ihrer Branche und mit ihrer Unternehmenstätigkeit und gemessen daran, was insoweit üblich ist, inhaltlich konkretisiert werden können. Dies kommt auch im norwegischen GmbH-Gesetz insoweit zum Ausdruck, als es für den Geschäftsleiter bestimmt, dass die Buchführung der AS im Einklang mit dem Gesetz, also vor allem dem norwegischen Buchführungsgesetz (Regnskapsloven), erfolgen muss. Die Geschäftsführungsaufgaben werden demnach letztlich durch gesetzliche Bestimmungen außerhalb des norwegischen GmbH-Gesetzes und durch branchenspezifische Regeln festgelegt. Auf diese Weise können für die Geschäftsführung der einen AS völlig andere Maßstäbe als für die Geschäftsführung einer anderen AS gelten.
Für eine Haftung der einzelnen Verwaltungsratsmitglieder und des Geschäftsleiters kommt es stets darauf an, ob er persönlich – vorsätzlich oder fahrlässig – die Bestimmungen und Regeln verletzt hat, die auf seine AS und damit auf ihn selbst zur Anwendung kommen. Die Haftung knüpft damit an ein subjektives Element an. Wenn also beispielsweise die Haftung mit der – objektiv vorliegenden und unbestrittenen – Verletzung eines Vertrags durch die AS begründet werden soll, löst diese Vertragsverletzung noch keine Haftung der Verwaltungsratsmitglieder und des Geschäftsleiters aus. Vielmehr haften sie nur dann, wenn ihnen außerdem persönlich ein subjektiver Vorwurf dergestalt zu machen ist, dass sie – vorsätzlich oder fahrlässig – eine Verantwortung für die Vertragsverletzung tragen.
Weiterhin knüpft die Haftung daran an, dass ihnen dieser Vorwurf in ihrer Eigenschaft als Verwaltungsratsmitglieder oder Geschäftsleiter gemacht werden kann. Wenn sie sich insoweit ordnungsgemäß verhalten haben, scheidet ihre Haftung aus. Dies gilt auch dann, wenn sie sich in einer anderen Eigenschaft, beispielsweise als Abteilungsleiter oder als Projektmanager, also unterhalb der Geschäftsführungsebene, falsch verhalten haben. Aus diesem Grund hatte das Landgericht Frostating in dem oben genannten Urteil eine Haftung des Verwaltungsratsvorsitzenden und gleichzeitigen Geschäftsleiters verneint, obwohl er in einem Gebäuderenovierungsprojekt bewusst gegen bautechnische Vorschriften verstoßen hatte. Denn dieses Falschverhalten sei ihm nur als Projektverantwortlichem anzulasten, da er – nachweislich – seine Geschäftsführungsaufgaben im Hinblick auf die Verwaltung der AS ordnungsgemäß wahrgenommen habe.