Umweltkriterien im öffentlichen Beschaffungswesen

CMS Kluge Advokatfirma AS, Legal Member der AHK Norwegen

Umweltkriterien im öffentlichen Auftragswesen werden in den letzten Jahren intensiv diskutiert. Das Thema ist jedoch nicht neu. Bereits in den 1980er-Jahren stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass das Vergaberecht die Berücksichtigung gesellschaftlicher Belange im öffentlichen Auftragswesen ermöglicht. Dementsprechend ist die Möglichkeit, gesellschaftliche Belange wie Klima und Umwelt in öffentlichen Vergabeverfahren zu berücksichtigen, heute klar gegeben.

Bisher haben norwegische Gerichte aber noch nicht über die Frage entschieden, wo die rechtlichen Grenzen im Hinblick auf Umweltanforderungen in öffentlichen Vergabeverfahren verlaufen, d. h., wozu die Auftraggeber rechtlich verpflichtet sind. Ist die Einbeziehung umweltbezogener Aspekte in öffentlichen Vergabeverfahren nur als Empfehlung zu verstehen oder ist der Auftraggeber gesetzlich verpflichtet, klima- und umweltbezogene Anforderungen und Kriterien festzulegen?

Die Antwort auf die Frage wird einen entscheidenden Einfluss auf die Beschwerden von Bietern haben, wenn Umweltkriterien ihrer Meinung nach zu berücksichtigen gewesen wären.

Öffentliche Beschaffung als strategisches Instrument zur Förderung von Klima und Umwelt

Der öffentliche Sektor verfügt über Kaufkraft. Allein in Norwegen kauft die öffentliche Hand jedes Jahr Waren und Dienstleistungen in einem Wert von rund 600 Mrd. NOK. Das entspricht 16 Prozent des BIP. Die öffentliche Beschaffung ist für einen erheblichen Teil des norwegischen CO2-Fußabdrucks verantwortlich, nämlich rund 11 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr.

Durch die strategische Nutzung der Kaufkraft ist die öffentliche Beschaffung deswegen in der Lage, die Gesellschaft in die gewünschte nachhaltige Richtung zu bewegen. Öffentliche Vergabeverfahren gelten für Norwegen heute als notwendiges Instrument, um die eigenen Klima- und Umweltverpflichtungen zu verwirklichen.

Wenn klima- und umweltbezogene Anforderungen und Kriterien festgelegt werden, werden die Bieter bestrebt sein, diese Kriterien zu erfüllen, um das Vergabeverfahren für sich zu entscheiden. So kann die öffentliche Auftragsvergabe dazu beitragen, Umweltbelastungen zu reduzieren und klimafreundliche Lösungen zu fördern. Wussten Sie übrigens, dass Norwegen das erste Land der Welt ist, das rein elektrische Autofähren bereitstellt, weil Umweltanforderungen in einem Vergabeverfahren gestellt wurden?

Verschärfung des norwegischen Vergaberechts

Die Vorschriften des norwegischen Gesetzes über die öffentliche Auftragsvergabe wurde 2017 verschärft, unter anderem im Hinblick auf Umweltkriterien. Dies geschah im Zusammenhang mit der Umsetzung der neuen Auftragsvergaberichtlinien der EU aus dem Jahr 2014, die u. a. darauf abzielen, öffentliche Vergabeverfahren verstärkt als Instrument zur Förderung von „intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum“ einzusetzen.

Gemäß dem norwegischen Vergabegesetz hat der Auftraggeber seine Auftragsvergabepraxis so auszurichten, dass er zur Verringerung von Umweltbelastungen beiträgt und ggf. klimafreundliche Lösungen fördert. Hierbei hat der Auftraggeber die Lebenszykluskosten zu berücksichtigen, vgl. § 5 des norwegischen Vergabegesetzes.

Das geltende Recht schreibt in Übereinstimmung mit den Vorarbeiten des Gesetzes vor, dass die Vergabevorschriften eine rechtliche Verpflichtung für den Auftraggeber begründen. Hieraus ergibt sich die Frage, wie weitreichend diese Verpflichtung ist.

Was kann der Bieter vom Auftraggeber in Bezug auf Klima und Umwelt erwarten?

Der Auftraggeber erstellt ein Rahmendokument, beispielsweise eine Vergabestrategie. Hieraus hat hervorzugehen, in welchen Vergabeverfahren die Formulierung von Umweltkriterien relevant ist. In der Strategie ist anzugeben, wie der Auftraggeber diese Vergabeverfahren weiterverfolgt. Die Strategie hat in jedes Vergabeverfahren des Auftraggebers einzufließen. Berücksichtigt ein Vergabeverfahren die Strategie nicht, liegt ggf. eine Verletzung des Vergaberechts vor.

Was heißt das jetzt konkret in der Praxis? Das heißt, dass der Auftraggeber seine Vergabepraxis überprüfen und sich einen Überblick darüber verschaffen muss, welche Anschaffungen erhebliche Umweltbelastungen mit sich bringen. Bei Anschaffungen, die mit wesentlichen Umweltauswirkungen verbunden sind, sind Umweltkriterien festzulegen. In entsprechenden Vergabeverfahren hat der Auftraggeber solche Anforderungen dann zu formulieren.

Es ist somit kein Ziel an sich, dass der Auftraggeber in allen Vergabeverfahren Umweltkriterien formuliert. Umweltanforderungen sind in den Verfahren zu stellen, wo sie einen wesentlichen Nutzen erbringen. Mit anderen Worten: Nach den derzeit geltenden norwegischen Vorschriften müssen Umweltkriterien nicht immer zwingend formuliert werden.

Bei der Gestaltung dieser Umweltkriterien hat der Auftraggeber derzeit außerdem einen großen Ermessensspielraum und viel Flexibilität. Umweltanforderungen können in allen Phasen des Vergabeverfahrens gestellt werden: als Mindestkriterien im Rahmen von Qualifikationsanforderungen oder als Teil des Leistungsverzeichnisses, als Zuschlagskriterien, bei denen die Bieter konkurrieren, oder als vertragliche Anforderungen.

Wir glauben jedoch, dass es in Zukunft einheitlichere Mindestanforderungen für bestimmte Vergabekategorien geben könnte – hierunter auch im Hinblick auf die Frage, wie Umweltkriterien zu formulieren sind. So gibt es bereits Mindestanforderungen in Vergabeverfahren für Fahrzeuge im Straßenverkehr. Am 1. Januar 2022 sind in Norwegen außerdem neue Vorschriften zu Nullemissionen für neue Pkw der öffentlichen Hand in Kraft getreten.

Werden die Verpflichtungen zur Festlegung von Umweltanforderungen im öffentlichen Beschaffungswesen derzeit erfüllt?

Im Rahmen seines Auftrags, die wirtschaftlich sinnvolle Verwendung und Verwaltung staatlicher Mittel zu überwachen, hat der norwegische Nationale Rechnungshof am 3. Februar 2022 eine Untersuchung zur Umweltfreundlichkeit des öffentlichen Beschaffungswesens vorgelegt. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass öffentliche Auftraggeber derzeit nicht in ausreichendem Maße zur Reduzierung von Umweltbelastungen und zur Förderung klimafreundlicher Lösungen beitragen.

Die Untersuchung zeigt, dass vielen öffentlichen Auftraggebern ein ganzheitlicher Ansatz fehlt, wie sie Klima- und Umweltaspekte in ihre Vergabeverfahren einbeziehen können, und dass Vergabeverfahren häufig nicht dazu Stellung nehmen, ob die Formulierung von Umweltkriterien relevant ist.

Wir warten gespannt auf die erste Beschwerde, die die Frage betrifft, inwieweit die aus dem Vergaberecht folgenden umwelt- und klimabezogenen Verpflichtungen eingehalten werden. Am naheliegendsten wären unserer Meinung nach Beschwerden von Bietern in Vergabeverfahren, die ganz offensichtlich mit einer großen Umweltbelastung verbunden sind, jedoch keinerlei Umweltkriterien formulieren.

In einer solchen Situation wird es für den Auftraggeber nicht unproblematisch sein, im laufenden Vergabeverfahren Abhilfe zu schaffen. Das liegt daran, dass Umweltkriterien zur Folge haben könnten, dass sich möglicherweise andere Bieter am Vergabeverfahren beteiligen und den Zuschlag erhalten würden. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass der Auftraggeber das Vergabeverfahren aufgrund fehlender Umweltkriterien zurückziehen muss.