Wasserstoff – das Erdöl der Zukunft?

Im November 2016 verabschiedete die Bundesregierung den Klimaschutzplan 2050. Das in dieser Strategie formulierte Langfristziel ist, im Jahr 2050 weitgehend treibhausgasneutral zu sein. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, ist die Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung notwendig, und die Abkehr von fossilen Brennstoffen langfristig unumgänglich. Power-to-X-Technologien und Wasserstoff als Energiespeicher könnten eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität zufallen.

Alternative Energiequellen wie Windkraft- oder Solaranlagen werden in Deutschland in den vergangenen Jahren weiträumig ausgebaut, sie haben aber fast durchweg den Nachteil, nicht zuverlässig Energie liefern zu können. Strom entsteht nur, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Darüber hinaus müssen Windräder an windigen Tagen gar abgeschaltet werden, um das Stromnetz nicht zu überlasten. Dieses Problem sollen zukünftig sogenannte Power-to-X-Technologien lösen. Eines der Verfahren, dem auf dem angestrebten Weg zur Klimaneutralität eine Schlüsselrolle zukommen könnte, ist die Elektrolyse. Sie bietet die Möglichkeit, Wasser mit der überschüssigen Energie in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten. Der Wasserstoff lässt sich anschließend wie Erdgas in Tanks speichern. Beim Verbrennen entstehen dann wieder Wasser und Energie.

Da es diese Technologie bisher noch nicht über die Pilotphase hinaus geschafft hat, sind die Produktionskosten des sogenannten grünen, mit erneuerbarer Energie hergestellten, Wasserstoffes sehr hoch. So kostet ein Kilogramm heute etwa 10 US-Dollar, mit Erdgas erzeugter, sogenannter blauer Wasserstoff kostet im Schnitt ein bis zwei US-Dollar pro Kilogramm.

„Wasserstoff muss der Hebel für die Energiewende sein. Jetzt, wo wir gesetzliche Klimaziele haben, kommt eine Verbindlichkeit in das Thema, an die sich alle halten müssen.“

Michael Westhagemann

Noch werden 90 Prozent des Wasserstoffes aus Erdgas hergestellt. Mit Blick auf die Klimadebatte sehen jedoch immer mehr Politiker und Unternehmen die Zukunft in grünem Wasserstoff. Eines dieser Unternehmen ist Wind2Gas Energy um Hans-Reimer Thießen. „Abregelungen von Windparks durch unzureichenden Netzausbau sind nicht länger hinnehmbar“, moniert der Gründer auf der Unternehmenswebseite. „Eine erfolgreiche Energiewende erfordert mehr als nur den Ausbau der Erneuerbaren – wir fordern eine ganzheitliche Betrachtung der Energiesektoren“, so das Unternehmen weiter. Das Ziel von Wind2Gas Energy ist es, neue Wertschöpfungsketten für erneuerbare Energien zu schaffen. Damit nicht weiterhin große Strommengen aus Wind ungenutzt bleiben, errichteten Thießen und seine Partner 2018 eine Power-to-Gas Anlage in der Region Brunsbüttel. Inzwischen sind zu dieser Anlage Projekte wie ein Batteriespeicher, eine Wasserstoff-Erdgasnetzeinspeisung und eine Wasserstofftankstelle hinzugekommen.

Wasserstoff ist auch ein Zukunftsmodell für die Mobilität

Letztere wird von der H2 Mobility Deutschland GmbH betrieben. H2 Mobility ist ein vom Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördertes Joint Venture aus den Unternehmen Air Liquide, Daimler, Linde, OMV, Shell und Total sowie weiteren Partnern wie BMW, Volkswagen oder Toyota. H2 Mobility hat sich auf die Fahnen geschrieben, in Deutschland eine flächendeckende Wasserstoff-Infrastruktur aufzubauen. Ziel der weltweit einmaligen unternehmerischen Initiative ist es, die Versorgung von Brennstoffzellen-betriebenen PKW sicherzustellen und dieser Technologie auf die Sprünge zu helfen. Wasserstoff-Mobilität bietet, so H2 Mobility, den Komfort und die Eigenschaften der Elektromobilität, mit dem Vorteil, dass eine Betankung nur wenige Minuten dauert, und Reichweiten von 500 Kilometer und mehr garantiert.

Derzeit eröffnet das Joint Venture im Schnitt alle zwei Wochen eine Wasserstoff-Tankstelle. Im Laufe des Jahres 2020 werden in Deutschland so 100 öffentliche Stationen zur Verfügung stehen. Wo sich geöffnete Wasserstoff-Tankstellen befinden, und wie der Stand bei der Errichtung neuer Anlagen ist, kann man in einer App oder unter www.h2.live einsehen.

Ende der Pilotphase in Sichtweite

Hamburgs parteiloser Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, Michael Westhagemann, sorgte im September des vergangenen Jahres für Schlagzeilen, als er verkündete, die weltweit größte Elektrolyseanlage für grünen Wasserstoff im Hamburger Hafen bauen zu wollen. 100 Megawatt groß soll sie werden. Bislang leisten Power-to-X-Anlagen noch nicht mal ein Zehntel davon, die Anlage von Wind2Gas Energy in Brunsbüttel beispielsweise erzeugt 2,4 Megawatt. Zum Vergleich: Das 2007 stillgelegte Kernkraftwerk im gleichen Ort leistete 771 Megawatt.

„Die Nachfrage nach grünem Wasserstoff wird viel größer sein als vielfach angenommen.“

Anja Karliczek

„Wasserstoff muss der Hebel für die Energiewende sein“, sagte Westhagemann im Gespräch mit dem Handelsblatt, „und jetzt, wo wir gesetzliche Klimaziele haben, kommt eine Verbindlichkeit in das Thema, an die sich alle halten müssen“. Die Pläne des Hamburger Senators verdeutlichen, welches Potenzial in der Technologie ruht. Aktuell beträgt die weltweite Leistung der Elektrolyseure etwa 500 Megawatt. Allein ein Projekt wie das in Hamburg würde die globalen Produktionskapazitäten um ein Fünftel vergrößern. Das zeigt auch, wie rasant der Markt in den kommenden Jahren wachsen wird, was sich auch positiv auf den Kilogrammpreis von grünem Wasserstoff auswirken kann.

Westhagemann hat noch viel größere Pläne: Gemeinsam mit Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein will er eine Art norddeutsche Wasserstoffwirtschaft aufbauen. Bis zum Jahr 2035 soll so eine nahezu vollständige Versorgung für die Industrie und den Verkehrssektor entstehen, so Hamburgs Wirtschaftssenator. Den passenden Fahrplan dafür haben die fünf Bundesländer im November 2019 vorgestellt. Fünf Gigawatt Elektrolyseleistung sollen bis zum Jahr 2030 im Norden entstehen, der nötige grüne Strom aus Windanlagen an Land und auf See kommen, von denen es in den fünf Ländern weit mehr gibt als im Rest der Bundesrepublik zusammen.

Hoffnungsträger für energieintensive Industrie

Den größten Mehrwert von Wasserstoff sehen Experten nicht in Brennstoffzellenautos oder bei Gasheizungen, sondern in der Industrie. Auch in der Schifffahrt oder im Luftverkehr ist Wasserstoff eine Option, schließlich wäre hier eine eine Umstellung auf tonnenschwere Batterien kaum vorstellbar. Vor allem aber in energieintensiven Branchen ist Wasserstoff in den vergangenen Jahren zum Hoffnungsträger gereift. Der steigende Druck zur Dekarbonisierung setzt vor allem die Sektoren unter Zugzwang, die bislang wahre CO2-Schleudern sind. In der Stahlindustrie beispielsweise entstehen bei der konventionellen Produktion von einer Tonne rohem Stahl 1,3 Tonnen CO2. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Stahlkonzerne wie Thyssenkrupp bereits in zehn Jahren ihre Hochöfen nicht mehr mit Kohle, sondern mit klimaneutralem Wasserstoff anfeuern wollen.

Plan für Wasserstoff-Infrastruktur steht

Um die Umstellungen in der Industrie vollziehen zu können, muss der Wasserstoff aber erst einmal von den Erzeugungszentren im Norden Deutschlands zu den großen Abnehmern im Westen und Süden der Republik gelangen. Ende Januar diesen Jahres haben hierfür die großen überregionalen Gastransportunternehmen einen Plan vorgelegt. Der Entwurf der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB Gas) sieht vor, ein 5 900 Kilometer langes Wasserstoffnetz in Deutschland zu errichten. Die Mitgliedsunternehmen der FNB Gas betreiben gemeinsam ein 40 000 Kilometer langes Leitungsnetz, das sie zum Teil für den Transport von Wasserstoff einsetzen wollen. Das geplante Wasserstoffnetz basiert zu über 90 Prozent auf dem bereits bestehenden Erdgasnetz und kann kontinuierlich ausgebaut werden. Die Betreiber profitieren dabei von dem Umstand, dass viele Leitungen aus parallelen Strängen bestehen, und es nur in Ausnahmefällen erforderlich werden soll, neue Wasserstoffleitungen zu bauen.

Trotz der hohen Energieüberschüsse bei der Erzeugung von Ökostrom wird Deutschland die Nachfrage an grünem Wasserstoff in Zukunft nicht bedienen können. Auch hier bietet der Plan der Gastransportunternehmen einen Lösungsansatz. Das Wasserstoffnetz wird mit den Infrastrukturen der europäischen Nachbarländer verbunden sein, und somit auch den Import über Pipelines oder Tankschiffe ermöglichen.

Hoffnungsträger für energieintensive Industrie

Mit der Vorlage des Planes für ein Wasserstoffnetz ist die Branche der Politik einen Schritt voraus. Das Thema steht jedoch auch bei der Bundesregierung oben auf der Agenda. Das Bundeswirtschaftsministerium um Minister Altmaier hat in den Tagen vor Redaktionsschluss dieses Heftes den Entwurf für eine nationale Wasserstoffstrategie vorgelegt. Dem Strategiepapier zufolge soll in der Bundesrepublik in den kommenden zehn Jahren eine Elektrolyseleistung in Höhe von drei, möglichst fünf Gigawatt aufgebaut werden. Darüber hinaus sieht die Strategie die Chance, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung und dem Export von Wasserstoff-Technologien einnehmen kann.

Der Entwurf wird nun mit den anderen Resorts abgestimmt. Über die Dringlichkeit einer solchen Strategie herrscht in der Bundesregierung weitgehend Einigkeit, so äußerte Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, dass die Strategie nun bald zum Abschluss kommen müsse, denn „die Nachfrage nach grünem Wasserstoff wird viel größer sein als vielfach angenommen“.