Interview mit Norbert Pestka, Geschäftsführer der AHK Norwegen
Im Jahr 2018 richtet die AHK Norwegen ihren Fokus verstärkt auf grüne Technologien und Lösungen. Veranstaltungen und Projekte sollen unter dem Label „GreenTech” stehen. BusinessPortal Norwegen sprach mit Geschäftsführer Norbert Pestka über aktuelle Vorhaben in diesem Bereich sowie den Stand und die Perspektiven der deutsch-norwegischen Wirtschaftsbeziehungen.
Herr Pestka, die AHK Norwegen hat das Thema GreenTech in diesem Jahr als Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausgewählt. Warum haben Sie eine solche Initiative gestartet, obwohl es in Norwegen ohnehin ständig um GreenTech geht?
Wir möchten mit Firmen, die sich auf GreenTech spezialisiert haben, zukünftig noch enger zusammenarbeiten. Es gibt zahlreiche Unternehmen, welche die Klimaverbesserung und die effizientere Nutzung von Rohstoffen aktiv unterstützen. In Norwegen ist es für Unternehmen besonders wichtig, einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele zu leisten. Ein solches Engagement wird durch rechtliche Vorgaben der Regierung teilweise sogar erzwungen: Wird der Bau einer Fähre öffentlich ausgeschrieben, ist es selbstverständlich, dass diese mindestens eine Hybridfähre sein muss oder über einen alternativen modernen Antrieb verfügt. Daraus ergeben sich interessante Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen. Zum Beispiel errichtet Siemens gerade ein Entwicklungszentrum für Batterielösungen für Schiffe in Trondheim.
Es gibt in Norwegen eine Reihe von Vorzeigeprojekten im Bereich GreenTech: Der Düngemittelkonzern Yara baut zurzeit ein autonom fahrendes Schiff mit Batterieantrieb. Ein weiteres Beispiel ist die Younicos GmbH aus Berlin, die für den ersten schwimmenden Windpark der Welt vor der Küste von Schottland ein Batteriespeichersystem liefert, das lernt, wann es Strom speichern und wann es Strom in das Netz abgeben soll. Betreiber des Windparks ist der norwegische Statoil-Konzern.
Mit unserer GreenTech-Initiative wollen wir die jeweiligen Unternehmen in unserem Netzwerk aktiv unterstützen, indem wir ihre Projekte, Produkte und Lösungen noch bekannter machen und Kontakte zu neuen Partnern vermitteln.
Wie genau soll das passieren?
Unsere GreenTech-Mitglieder werden vor allem sichtbarer – in unseren klassischen Printprodukten sowie auf unseren digitalen Kanälen. Die vier Ausgaben unseres Mitgliedermagazins Connect widmen sich in diesem Jahr verschiedenen GreenTech-Themen. In der im Juni erscheinenden Ausgabe gehen wir auf das Thema Kreislaufwirtschaft ein – hierbei setzen wir auf die Kompetenzen und Erfahrungen unserer Mitglieder, die wir aktiv in den redaktionellen Prozess einbeziehen.
Mit unserem Handelskammerblog haben wir ein neues Format geschaffen, in dem wir regelmäßig Beiträge zum Thema GreenTech veröffentlichen und Unternehmen über das Mitgliedernetzwerk hinaus in diesem Bereich positionieren. Ob eine strategische Entscheidung, ein innovatives Produkt oder ein konkretes Projekt, hier ist ausreichend Platz für detaillierte Projektbeschreibungen, Kommentare und Presseinformationen.
Außerdem planen wir im Rahmen unserer GreenTech-Initiative mehrere Veranstaltungen. Frühstückstreffen haben bei uns eine lange Tradition und sind eine gute Plattform für unsere Mitglieder, ihre Produkte und Dienstleistungen zu präsentieren und potentielle Partner zu treffen. In diesem Jahr wollen wir unsere Mitglieder noch stärker einbeziehen und organisieren vier zusätzliche Frühstückstreffen ganz im Zeichen von GreenTech. Am 12. Juni widmen wir uns dem Thema Kreislaufwirtschaft mit Vertretern aus der Politik, Forschung und Wirtschaft, repräsentiert durch unser Mitglied CHG-MERIDIAN. Außerdem stehen Studienreisen, Diskussionsabende und Netzwerktreffen für wichtige Branchenvertreter auf dem Plan. Wer Interesse an einer Mitarbeit in unserem grünen Netzwerk hat, kann uns gerne kontaktieren.
Im vergangenen Jahr war Industrie 4.0 das Schwerpunktthema. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Norwegen hat sich – wie viele andere Länder auch – Digitalisierung und Industrie 4.0 auf die Fahne geschrieben. Wir haben zahlreiche Veranstaltungen wie unsere Herbstversammlung in Hannover zu diesem Thema organisiert, Kontakte vermittelt und Unternehmensbesuche initiiert. Die Norweger sind neugierig, wie die Industrie oder auch der Bankensektor neue Technologien einsetzen kann und wollen hier von Deutschland lernen.
Allerdings haben wir dabei erfahren, dass das Thema Digitalisierung in Deutschland doch nicht ganz unkritisch zu sehen ist. Norweger sind sehr erstaunt darüber, dass man in Deutschland außerhalb der großen Städte oft kein Netz hat – und ein leistungsfähiges Netz ist ja die Voraussetzung für Industrie 4.0. Insofern ist das Vorhaben der Regierung, bis 2025 ein schnelles Internet für alle anzubieten, kein gutes Aushängeschild. Wir brauchen leistungsfähigere Netze – und das nicht erst in sieben Jahren, sondern am besten heute. In Norwegen ist man mit dem Netzausbau schon viel weiter.
Mit dem Einbruch des Ölpreises vor vier Jahren hat Norwegen erfahren, wie problematisch eine große Abhängigkeit von Öl und Gas sein kann. Damals hat sich die Regierung die Diversifizierung der norwegischen Wirtschaft auf die Fahne geschrieben. Wie kommt das Land hier voran?
Das war tatsächlich eine schwierige Zeit für Norwegen. Mittlerweile hat sich der Ölpreis erholt und es wird wieder investiert. Die Öl- und Gasindustrie und auch andere Branchen haben die vergangenen drei Jahre genutzt, um Personal anzupassen, neue Technologien einzusetzen und Modelle zur Kosteneinsparung zu entwickeln. Damit hat Norwegen seine Wettbewerbsfähigkeit beträchtlich erhöht. Es ist sicherlich nicht leicht, eine sehr stark auf Öl und Gas ausgerichtete Wirtschaft umzubauen, aber Politik und Wirtschaft gehen das Thema in Norwegen sehr beherzt an. Es ist allerdings noch zu früh, vom diesem Umstellungsprozess konkrete Ergebnisse zu erwarten; das kann noch Jahre dauern.
Als AHK Norwegen unterstützen wir die von der norwegischen Regierung angestrebte Diversifizierung: Die Vereinbarung zum Kauf von U-Booten aus Deutschland für die norwegische Marine bietet sehr interessante Ansätze. Dieses Offset-Geschäft im Umfang von mehreren Milliarden Euro wurde im vergangenen Jahr zwischen Deutschland und Norwegen vereinbart. Darin ist vorgesehen, dass ein Großteil der Zulieferungen für die in Deutschland gebauten U-Boote aus Norwegen kommt. Dies setzt eine intensive Zusammenarbeit zwischen deutschen und norwegischen Unternehmen voraus: Es müssen geeignete norwegische Unternehmen gefunden werden, welche die Anforderungen der deutschen Abnehmer erfüllen. Im vergangenen Herbst wurde beispielweise ein Joint Venture zwischen dem Technologiekonzern Kongsberg und thyssenkrupp Marine Systems gegründet. Als AHK helfen wir den Unternehmen bei der Partnersuche und beraten sie bei rechtlichen und steuerlichen Fragen. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland und Norwegen im Industriebereich noch viel enger zusammenarbeiten können.
Bei der Diversifizierung der Wirtschaft in Norwegen spielen auch Start-ups eine wichtige Rolle. Neueste Entwicklungen sollen helfen, die Industrie auf einen hohen technologischen Stand zu bringen – dabei finden Norweger auch Inspiration in Deutschland. Zwei namhafte norwegische Unternehmen haben in Berlin kürzlich Start-ups getroffen und diskutiert, ob und wie deren Entwicklungen integriert werden können.
Wie sehen sie die Entwicklung von Handel und Investitionen insgesamt?
2017 war für den bilateralen Handel kein schlechtes Jahr – für die norwegischen Erdgas-Lieferanten war es sogar ein sehr erfolgreiches Jahr. Die Importe bewerte ich insgesamt als zufriedenstellend. Besonders deutsche Autos sind in Norwegen sehr gefragt, auch wenn es immer noch Engpässe bei der Lieferung von Elektroautos gibt.
Die Zusammenarbeit im Energiesektor wird zunehmend wichtiger. Das Stromkabel NordLink, welches zurzeit am Meeresboden der Nordsee verlegt wird, ist ein interessantes Geschäftsmodell. Es transportiert zukünftig sauberen Strom aus Wasserkraft nach Deutschland und sauberen Strom aus Windkraft nach Norwegen. Allerdings fehlen noch entsprechende Stromleitungen zur Distribution innerhalb Deutschlands. Ich bin aber optimistisch, dass wir bis zur Inbetriebnahme des Kabels in 2019 eine gute Lösung finden. Weiterhin wird Norwegen ein Energiekabel nach England bauen, was Norwegen zu einem wichtigen Energielieferanten in Europa werden lässt, nicht nur bei fossilen Brennstoffen, sondern auch bei GreenTech.
Welches Interesse haben deutsche Unternehmen aktuell an Norwegen?
Transport, Logistik und öffentlicher Nahverkehr sind eindeutig die Topthemen. Norwegen investiert pro Jahr etwa acht Milliarden Euro in Infrastrukturmaßnahmen. Die deutsche Industrie hat ein hohes Interesse an den geplanten Infrastrukturprojekten und sehr gute Chancen für Aufträge. Erst kürzlich hat Siemens einen Vertrag zur Digitalisierung der Infrastruktur des norwegischen Bahnnetzes erhalten – einer der größten Aufträge des Konzerns in diesem Bereich. Deutsche Kommunen möchten sich insbesondere von Lösungsansätzen für verkehrsberuhige Zonen oder verkehrsfreie Innenstädte inspirieren lassen. Oslo gilt hierbei mit vielen innovativen Konzepten als Vorbild.
Im Fokus stehen immer wieder Erfahrungswerte mit nachhaltiger Mobilität und beim Einsatz erneuerbarer Energien. Anfang des Jahres hat sich eine 50-köpfige Delegation aus Baden-Württemberg unter Leitung des Umwelt- und Verkehrsministers Franz Untersteller über dieses Thema informiert. In diesem Rahmen wurde mit Anette Solli von der norwegischen Region Akershus ein Letter of Intent für die Zusammenarbeit beim Einsatz von modernster Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie unterzeichnet.
Deutsche Unternehmen kommen vor allem wegen der stabilen politischen und wirtschaftlichen Situation nach Norwegen. Mit dem Brexit wird sich diese Zusammenarbeit weiter intensivieren. Großbritannien war bislang ebenso wie Deutschland ein wichtiger Handelspartner und Norwegens engster Verbündeter in der EU – diese Rolle kann Deutschland zukünftig übernehmen.