Kjetil Wiedswang schreibt für Dagen Næringsliv über internationale Beziehungen und europäische Themen. Wir haben ihn zu einem Morgenkaffee eingeladen, um über den Status der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und die zukünftigen Möglichkeiten für Norwegen zu sprechen.
Michael Kern: „Together for Europe’s recovery“ lautet das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft. Ist eine stärkere Zusammenarbeit innerhalb der EU eine der zentralen Aufgaben der deutschen sowie nachfolgender Ratspräsidentenschaften?
Kjetil Wiedswang: Als die Briten vor viereinhalb Jahren für den Brexit stimmten, haben viele prognostiziert, dass dies zu einer Welle von Austritten aus der EU führen würde. Das Gegenteil war die Folge: Die Zusammenarbeit in der EU ist stärker geworden. Die Coronapandemie hat die Zusammenarbeit auf ein völlig neues Niveau gehoben, wie die Einigung über das Langzeitbudget und das Krisenpaket zeigt. Zum ersten Mal in der Geschichte nehmen die EU-Länder kollektive Schulden auf.
Kern: Das Treffen über das EU-Langzeitbudget so früh in der Präsidentschaft abzuhalten, was sicher eine strategische Entscheidung. Es ist tonangebend für die zukünftige Zusammenarbeit. Welche Chancen ergeben sich für Norwegen aus dem Langzeitbudget und Krisenpaket?
Wiedswang: Auf norwegischer Seite wird an einer Strategie gearbeitet, aber da das Hilfspaket noch nicht offiziell genehmigt ist, bleibt weiter unklar, inwieweit Außenstehende daran teilhaben können. Was jedoch getan wurde, ist die formelle Öffnung für die Verteidigungszusammenarbeit im Rahmen von PESCO. Ich gehe davon aus, dass auch in Norwegen ein großes, vielleicht auch gegenseitiges Interesse daran besteht, was man mit grünen Investitionen bewirken kann. Ein Drittel des Pakets ist für solche Zwecke vorgesehen. Hier ist es natürlich, eine Zusammenarbeit in den Bereichen Wasserstoff und CCS einzugehen, wenn es möglich ist, entsprechende Partner zu finden.
Kern: Wo hat Deutschland in den ersten vier Monaten der Präsidentschaft Spuren hinterlassen?
Wiedswang: Am offensichtlichsten ist wohl die gemeinsame Entscheidung für ein Hilfspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro. Ohne Deutschland wäre das nicht möglich gewesen. Außerdem haben wir den Brexit-Prozess, der von unendlichen Fristen geprägt war und nun stattfindet. Die EU hat den 15. November als letzte Frist für eine Einigung mit Großbritannien gesetzt, damit diese vor dem neuen Jahr im EU-Parlament und in den 27 Mitgliedstaaten politisch berücksichtigt werden kann. Es wurde erwartet, dass bis zum allerletzten Moment nichts passieren wird. Die Wahrscheinlichkeit ist aber sehr hoch, dass man eine Einigung erzielt. Geschieht dies nicht, handelt es sich um einen reinen Arbeitsunfall, da für beide Seiten viel auf dem Spiel steht. Angesichts der Pandemie, des Brexits und der Turbulenzen in den USA war die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in diesem halben Jahr ein Segen.
Kern: Internationale Handelsabkommen sind wichtig. Können wir nach der US-Wahl von einer Wende ausgehen?
KWiedswang: Bidens Team hat bereits angekündigt, sich wieder den internationalen Organisationen anzuschließen, damit in dieser Beziehung eine neue Normalität wiederhergestellt werden kann. Die Dinge wurden jetzt ein wenig auf dem Kopf gestellt, denn historisch gesehen waren es ja die Republikaner, die den Freihandel befürworteten. Die Demokraten waren etwas skeptischer gewesen, unter anderem um Arbeitsplätze zu schützen. Aber man öffnet sicherlich nicht alle Tore, auch wenn es eine neue Verwaltung gibt. Es kann durchaus sein, dass einige Zollsätze bestehen bleiben. Ich glaube, dass das allerwichtigste ist, eine Regierung zurückzubekommen, die an einer organisierten internationalen Ordnung interessiert ist und dass nicht das Recht des Stärkeren regiert.
Kern: Apropos, Zusammenarbeit: Ist die Deutschlandstrategie der norwegischen Regierung Ihrer Meinung nach ein Instrument zur weiteren Stärkung der Beziehungen, sowohl im Rahmen der Ratspräsidentschaft als auch zukünftig in Bezug auf Deutschland als wichtigen Partner Norwegens in der EU?
Wiedswang: Ja, das glaube ich schon. Im norwegischen Außenministerium gibt es die klare Haltung, dass Deutschland der strategisch wichtigste Partner Norwegens innerhalb der EU ist. Zum Teil, weil man den Eindruck hat, dass die Kommunikation gut ist und sich Deutschland wirklich für Norwegen interessiert. Deshalb ist es klar, dass die norwegische Wirtschaft und Politik erleichtert waren, als die Zahlen aus dem dritten Quartal in Deutschland kamen und zeigten, dass etwas weniger schlimm aussah als befürchtet.