„Eine zusätzliche Sprache wie Deutsch erhöht den eigenen Marktwert!“

In Zeiten von Google, deepl und Co., scheint der Anreiz, Deutsch als Fremdsprache zu erlernen, gering. Eine komplexe Grammatik, ein reicher Wortschatz und eine Aussprache, die auf den ersten Blick nicht logisch erscheint, schrecken viele junge Norwegerinnen und Norweger ab. Hinzu kommt, dass Englisch in den meisten Bereichen die Lingua Franca ist. Laut dem EF EPI (English Profieciency Index), der weltweit größten Rangliste von Ländern und Regionen nach Englischkenntnissen, liegt Norwegen auf dem 4. Platz von 111 Ländern/Regionen. Zusätzlich konkurriert das Deutsche im Fremdsprachenbereich mit Spanisch und Französisch. Seit 2013 ist Spanisch unter den Schülerinnen und Schülern der norwegischen Sekundarstufe die erste Wahl. Ihr Anteil steigt seit 2016 stetig und betrug 2022 52 Prozent unter den Schülerinnen und Schülern, die eine zweite Fremdsprache gewählt hatten. Der Anteil derer, die Deutsch als Fremdsprache wählten, sank im gleichen Zeitraum um 8 Prozentpunkte auf 31 Prozent im Jahr 2022.

Um mehr Lernende in Norwegen zu motivieren, Deutsch in ihrer Ausbildung einen höheren Stellenwert einzuräumen, findet am 17. Oktober der Karrieretag “Gjør karriere med Tyskland“ statt. Gastgeber werden die Norwegisch-Deutsche Willy Brandt Stiftung, das Goethe-Institut und der norwegische Deutschlehrerverband Norsk Tyskforum sein. Sponsor der Veranstaltung ist neben der AHK Norwegen auch YARA International. Wir haben mit Michael Lehfeldt, Corporate HESQ bei Yara, gesprochen, warum Deutschkenntnisse im Arbeitsleben auch heute noch wichtig sein können. Michael Lehfeldt muss es wissen: Er ist Deutscher und lebt und arbeitet seit über 30 Jahren mit Unterbrechungen in Norwegen.

AHK Norwegen: Herr Lehfeldt, mit Blick auf die Faktenlage: Warum sollten norwegische Schülerinnen und Schüler heute noch Deutsch lernen?

Michael Lehfeldt: Aus wirtschaftlicher Perspektive ist die Antwort relativ naheliegend. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Norwegens, nicht nur im Energiesektor, sondern auch in der Forschung, der Kunst und Kultur, um nur einige Bereiche zu nennen. Und Deutschland wird zunehmend noch wichtiger. Das sehen wir bei YARA konkret darin, dass unsere Aktivitäten in Deutschland wachsen.

Bis zum zweiten Weltkrieg hat Deutschland für Norwegen auch eine wichtige Rolle im Bereich der Bildung und Ausbildung gespielt. Viele erfolgreiche Norweger und Norwegerinnen haben einige Zeit ihrer Ausbildung in Deutschland verbracht.

So hatte Kristian Birkeland, der zusammen mit YARAs Gründer, Sam Eyde das Birkeland-Eyde-Verfahren zur Herstellung von künstlichem Salpeter und Düngesalz entwickelt hat, seine Ausbildung unter anderem in Bonn erhalten und Leipzig. Und Sam Eyde selbst hat Ende des 19.Jahrhunderts in Berlin Bauwesen studiert. Wer in Norwegen Deutsch lernt, reiht sich also in eine große, erfolgreiche Tradition ein.

AHK Norwegen: Traditionen zu pflegen ist das eine. Haben Deutsch-Kenntnisse für die Karriere tatsächlich einen Nutzen?

Michael Lehfeldt: Sagen wir mal so: Das Beherrschen von Englisch ist eine Grundvoraussetzung und wird von allen Bewerber*innen erwartet, aber eine zweite Sprache wie eben Deutsch erhöht den eigenen Marktwert. Deutschkenntnisse erleichtern in deutsch-norwegischen Projekten natürlich die Zusammenarbeit und das Verständnis für deutsche Problemstellungen.

AHK: Welchen Bedarf hat Yara an deutschsprechenden Bewerber*innen? Wo kommen die Kenntnisse zum Einsatz?

Michael Lehfeldt: Wir haben in Deutschland vier Standorte mit insgesamt knapp 1000 Mitarbeitenden: In Berlin einen Digital Marketing Hub, in Dülmen die landwirtschaftliche Forschung, in Rostock die Produktion von Mineraldünger und in Brunsbüttel die Produktion von AdBlue (Anmerk. d. R. Reduktion von Abgasen/NOx von Dieselfahrzeugen um ca. 95%). Ich bin selbst oft mit den Kollegen und Kolleginnen all dieser Standorte im Kontakt, wobei in der Kommunikation vorzugsweise Deutsch verwendet wird. Falls nicht-deutschsprachige Kollegen oder Kolleginnen dabei sind, wird allerdings Englisch gesprochen.

An allen Standorten werden außerdem immer wieder neue Mitarbeiter*innen gesucht und da ist Deutsch in den meisten Fällen eine Grundvoraussetzung, vor allem im Produktionsbereich.

AHK: Wird dieser Bedarf erhalten bleiben oder übernehmen irgendwann Deepl, Google Translate und ChatGTP die Übersetzungsarbeit?

Michael Lehfeldt: Das Beherrschen der deutschen Sprache ist im direkten Kontakt mit deutschen Kollegen und Kolleginnen, Kunden oder Partnern von großem Vorteil:

Diese neuen Tools, die Übersetzungsarbeiten übernehmen, werden nie den zwischenmenschlichen Kontakt und die Softskills wie Empathie oder Humor ersetzen können, davon bin ich überzeugt.

Auf persönlicher Ebene spielt angewandte, gelebte Sprache eine wesentliche Rolle und wird diese mir Sicherheit weiterhin spielen.

AHK: Sprachkenntnisse sind das eine. Für wie wichtig halten Sie in einer globalisierten Welt, in der wir durch das Internet, Reisen und Video-Calls immer weiter zusammenrücken, interkulturelle Kompetenzen?

Michael Lehfeldt: In allen Ländern haben wir interkulturelle Eigenheiten, die wir lernen sollten, wenn wir daran interessiert sind, uns besser kennenzulernen und zu verstehen. Das macht gerade den Reiz aus global zu arbeiten. Wir sind keine Computer, die kalt Informationen austauschen und gefühllos mehr oder weniger rationale Entscheidungen treffen. Es geht immer auch darum, uns emotional zu verstehen, damit wir Entscheidungen und Handlungsweisen nachvollziehen können. Dafür ist das Erwerben interkultureller Kompetenzen eine Grundvoraussetzung und auch diese lernt man am besten in der direkten Begegnung und im persönlichen Austausch miteinander.

Auch bei der Deutsch-Norwegischen Handelskammer sind deutsche Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenzen in der täglichen Arbeit gefragt. Dabei geht es vor allem darum, unsere Mitglieder auf dem deutschen und norwegischen Markt zu unterstützen und ihnen durch Landes- und Sprachkenntnisse sowie interkulturelle Kompetenzen Vorteile zu verschaffen. Für unsere Mitarbeitenden ergibt sich dadurch ein vielfältiges Aufgabengebiet und ein Arbeitsalltag, in dem kein Tag dem anderen gleicht und, in dem aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklungen sie vor spannende Herausforderungen stellt.

Am 17. Oktober 2023 findet die Veranstaltung Karriere-Tag und Deutschlandkonferenz Oslo 2023 im Haus von Yara International statt. Anmeldung offen bis 9. Oktober.