„Ja, wie spannend!“, war mein erster Gedanke, als ich gefragt wurde, ob ich an einer Entsendung als Rechtsberaterin für eine Vollzeitstelle bei Bybanen Utbygging in Bergen interessiert wäre. Normalerweise arbeite ich als Anwältin in der Rechtsanwaltssozietät Grette AS in Oslo. Wenn ich das Angebot annehmen würde, müsste ich also nach Bergen umziehen und an den Wochenenden nach Hause pendeln. Mit Partner, Familie, Freunden und einer Wohnung in Oslo musste ich mir natürlich genau überlegen, ob ich nach Bergen ziehen wollte – aber diese Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen!
Die Stelle wurde im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung ausgeschrieben, wodurch Angebote eingereicht und evaluiert sowie Interviews geführt werden mussten. Es dauerte daher ein paar Wochen, bis ich das Glück hatte, zu erfahren, dass ich ausgewählt worden war.
Wohnung – gemietet! Flugticket – gebucht! Koffer packen – erledigt! Innerhalb eines Monats war alles organisiert und ich war bereit, mich bei Bybanen Utbygging neuen Herausforderungen zu stellen.
Bybanen Utbygging ist eine Abteilung der Bezirksgemeinde Hordaland und Bauherr für den Ausbau der Stadtbahn in Bergen. Dieses Projekt teilt sich in Bauabschnitte; die Bauabschnitte 1 bis 3 reichten vom Zentrum bis nach Flesland. Wir arbeiten derzeit am vierten Bauabschnitt, einer neuen Fahrspurstrecke von der Innenstadt bis nach Fyllingsdalen. Dieser ist der bislang anspruchsvollste, und das Budget liegt bei rund 700 Millionen Euro. Die Bauphase besteht aus verschiedenen Aufträgen und Verträgen, und hat viele komplizierte Schnittpunkte mit öffentlichen Akteuren, Nachbarn und anderen Interessengruppen. Wir bauen zwei neue U-Bahn-Tunnel, den weltweit längsten Fuß- und Radweg in einem Tunnel sowie sieben neue Haltestellen, von denen eine unterirdisch sein wird. Außerdem geht es nicht nur um den Ausbau der Stadtbahn, sondern um die Stadtentwicklung in Form eines neuen Stadtstrands entlang der Bucht Store Lungegårdsvann, eines Kanals sowie Fuß- und Radwegen. Die vierte Bauphase hat 2018 begonnen und wird voraussichtlich 2020 abgeschlossen sein.
Als Rechtsberaterin bin ich sowohl an der Vergabe als auch an der Nachbereitung von Aufträgen beteiligt. Ich arbeite in einem Team mit Ingenieuren und anderen Mitarbeitern, wodurch ich eine interessante Perspektive auf Rechtsfragen erhalte. Aufgrund der städtebaulichen Entwicklung müssen viele Kabel und Leitungen im Boden verlegt werden, und ich bin für die Aushandlung von Vereinbarungen mit den Kabelbesitzern im Hinblick auf die Kostenverteilung verantwortlich. Darüber hinaus arbeite ich kontinuierlich mit Reklamationen gegen die Bauunternehmen oder Klagen von Nachbarn, die von den Bauarbeiten betroffen sind, Entschädigungs- und Gewährleistungsfällen sowie sonstigen beschaffungs- und baurechtlichen Aufgaben.
Indem ich gewissermaßen „ausgeliehen“ wurde, sammle ich nicht nur mehr Berufserfahrung, sondern lerne auch neue Organisationsstrategien und Arbeitsweisen kennen. Da ich normalerweise in einer Anwaltskanzlei arbeite, ist es für mich besonders interessant zu erfahren, wie ein öffentlicher Bauherr und Auftraggeber arbeitet.
Ich habe diese Herausforderung unter anderem angenommen, weil ich mich in der sehr dankbaren Situation befinde, Erfahrungen bei einem neuen Arbeitgeber, in diesem Fall ein öffentlicher Bauherr, sammeln zu können, ohne den Job wechseln zu müssen. Ein weiterer Grund ist, dass ich eine Zeit lang in einer neuen Stadt leben kann, ohne endgültig umziehen zu müssen.
Nach neun Monaten in Bergen hat das Pendeln, trotz einer gewissen Flugscham, sehr gut funktioniert, und ich wage zu behaupten, dass ich meine Familie und Freunde genauso oft gesehen habe wie vorher.
Also: Junge Berufstätige sollten solche Möglichkeiten nutzen, auch wenn man zunächst großen Respekt davor hat, denn genau dies sind die Möglichkeiten, die am meisten Spaß machen und besonders lehrreich sind.
Linn Gulaker Olsen