Vernetzte Mobilität: Ein Zukunftsszenario für Großstädte

Der öffentliche Personennahverkehr wird auch in Zukunft das Rückgrat des Verkehrssystems sein. Neue Transportformen wie Carsharing, Leihfahrräder, Taxen, autonome Fahrzeuge oder Elektroautos werden unsere Art zu reisen jedoch revolutionieren. In Großstädten planen wir bald unseren Verkehrsalltag mit einer App – und kommen ohne eigenes Auto ans Ziel.

Um individuelle Mobilitätsbedürfnisse mit den Anforderungen an Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, werden wir zukünftig neue oder verbesserte Verkehrsmittel einsetzen. Und wir werden die öffentlichen und individuellen Verkehrsmittel wesentlich bedarfsorientierter, vielfältiger und spontaner auswählen. Vernetzte Mobilität lautet das Stichwort – ein
integriertes Mobilitätskonzept, bei dem der öffentliche Verkehr das Basisangebot sicherstellt, und durch alternative Transportformen ergänzt wird. Es ist die einzige Lösung, die in puncto Flexibilität, Benutzerfreundlichkeit und Preis mit Privatfahrzeugen konkurrieren kann.

Wie etablierte Verkehrsbetriebe beitragen

Vernetzte Mobilität bildet die Grundlage für die Städte von Morgen mit einem flexiblen, effizienten und grünen Verkehrssystem. Der öffentliche Personennahverkehr deckt den Löwenanteil und wickelt die meisten Fahrten auf kleinstem Raum ab, denn ohne das öffentliche Verkehrsangebot können innovative Mobilitätsdienste keine erschwingliche Alternative zum Auto bieten. Der öffentliche Verkehr ist dabei nicht nur der Kern einer nachhaltigen Mobilität, sondern auch Experte für die Organisation und Verwaltung von kombinierten Mobilitätslösungen.

„Es ist mir sehr wichtig, dass die Organisation und Entwicklung des zukünftigen Transportangebots in der öffentlichen Hand liegt – so wie es heute ist“, meint Lan Marie Nguyen Berg, Stadträtin für Umwelt und Verkehr in Oslo. Verkehrsgesellschaften müssen demnach das eigene Angebot mit neuen Mobilitätsformen verknüpfen. Der lokale Verkehrsbetrieb in Oslo, Ruter, könnte so sein Geschäftsmodell erweitern und ein breiteres Spektrum an Transportmöglichkeiten über den gleichen Kanal koordinieren: die RuterApp. Um eine gute Mobilität für Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und Kollektivreisende zu ermöglichen, müssen die städtischen Verkehrsbetriebe jedoch auch mit privaten Akteure zusammenarbeiten, zum Beispiel bei Anschaffungen oder durch Accelerator-Programme.

Infrastruktur nach Belohnungsprinzip

Die Anzahl der Autofahrten in Stadtgebiete hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Diesem Trend will die norwegische Regierung entgegenwirken: „Unsere Bürger brauchen ein effektives Transportsystem, das für eine gute Mobilität sorgt. Ich wünsche mir, dass der öffentliche Verkehr so gute Lösungen bietet, dass sie alltägliche Fahrten mit dem Pkw immer mehr ersetzen “, so Verkehrsminister Ketil Solvik-Olsen.

Die Regierung hat sich ein Nullwachstum für den Personenverkehr mit dem Auto zum Ziel gesetzt, um die Zugänglichkeit, Umwelt und Gesundheit in Städten zu verbessern. Dies fördert sie im Rahmen des Nationalen Transportplans (2018-2029) mit einer Prämienordnung in Höhe von sieben Milliarden Euro. «Ich freue mich, dass die neun größten städtischen Gebiete und der Staat zusammenarbeiten werden, um einen besseren und umweltfreundlicheren Lebens- und Transportalltag für die fast drei Millionen Menschen zu entwickeln, die in unseren Großstädten und Ballungsgebieten leben und arbeiten“, sagt Solvik-Olsen. Diese Fördermittel wurden 2017 unter anderem für den Ausbau und Betrieb der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur sowie für neue Brücken, Fuß- und Fahrradwege verwendet.

Das Prinzip funktioniert: Zum Beispiel hat Kristiansand eine Prämienverordnung für den Zeitraum 2017-2019 abgeschlossen. Im vergangenen Jahr hat sich der Autoverkehr nicht wesentlich verändert, die Anzahl der Busreisen ist jedoch um 3,4 Prozent gestiegen. Wenn sich diese gute Entwicklung fortsetzt, wird der Staat im Jahr 2019 weitere 9,3 Millionen Euro zahlen.

Innovative und nachhaltige Verkehrsmittel

Das enorme Wachstum des öffentlichen Verkehrs zeigt sich auch in der norwegischen Hauptstadt: 2017 wurden 16 Millionen Fahrten mehr als im Vorjahr registriert. „Grüne Transportlösungen sollten für die Einwohner in Oslo die erste Wahl sein“, so das Ziel der Stadträtin. Oslo habe sich bereits international als Umweltstadt profiliert und trägt den Titel „Europäische Umwelthauptstadt 2019“ nicht zuletzt wegen des öffentlichen Verkehrsangebots. Bis 2020 soll der Autoverkehr um 20 Prozent reduziert werden, Fahrradfahrten sollen im gleichen Zeitraum um 16 Prozent zunehmen.

Die Kommunen Oslo und Akershus haben bei dem Wettbewerb „Smarter Transport in Norwegen“ kürzlich 1,3 Millionen Euro für ein Pilotprojekt mit Punkt-zu-Punkt-Fahrten mit autonomen Bussen gewonnen. Wie wirkt sich diese nachfragebasierte Bestelllösung auf das Gesamtangebot aus? Welche Kompetenzen, Funktionen und Systeme braucht es, um dies im Rahmen der vernetzten Mobilität umzusetzen? Und wie kann das Angebot durch selbstfahrende Autos abgerundet werden, ohne dass die Bürger diese Fuß- und Fahrradaktivitäten bevorzugen? Im Rahmen des Projekts wird unter anderem ein Incentive-Modell für die Wahl nachhaltiger Reisealternativen erwogen: Wer Fahrrad fährt, sammelt Punkte, und kann diese zum Beispiel bei einem Carsharing-Anbieter einlösen.

Alle Verkehrsmittel in der Hand

Ganzheitliche Mobilitätsdienste erleichtern den Transportalltag der Bürger und sind eine realistische sowie nachhaltige Alternative zum eigenen Auto, so die Theorie. Doch die Anforderungen an eine integrierte Lösung sind enorm: einfache Bedienbarkeit, vollständige Darstellung aller Fahrtoptionen ohne Bevorzugung eines einzelnen Anbieters, vertrauenswürdige Informationen zu aktuellen Verkehrsplänen sowie flexible Routenvorschläge bei persönlichen und verkehrsbedingten Planänderungen.

In Wien wurde mit der „Smile“-App eine integrierte Mobilitätsplattform getestet, die über alle Verkehrsmittel informiert, und über die man diese auch buchen, bezahlen und nutzen kann. Mithilfe von Echtzeitdaten zu Wetter, Standort oder Staus, Userdaten zu Reiseverhalten und Bezahloptionen sowie Zusatzdiensten wie der Reservierung von Parkplätzen oder Ladestationen werden individuelle Routenvorschläge erstellt – sortiert nach Fahrzeit, Preis oder CO2-Werten. Dabei werden Zeitfahrkarten, Ermäßigungen, Mitgliedschaften bei Sharing-Anbietern und private Fahrzeuge im Mobilitätsprofil hinterlegt und berücksichtigt.

Große Städte, großes Potential

Wenn ein vernetztes Mobilitätskonzept realisiert wird, wechseln wir zukünftig zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln – und nutzen das Smartphone zur Suche nach der schnellsten, komfortabelsten oder grünsten Reiseoption. Das Potenzial für die Einführung von solchen Systemen in Metropolregionen ist groß, denn in Norwegen ist der öffentliche Verkehr gut ausgebaut und die Nutzung von Smartphones weit verbreitet.

Die wohl größte Herausforderung bleibt die Verknüpfung und übergreifende Vermarktung der einzelnen Verkehrsdienste: Diese müssen institutionell zwischen Verkehrsgesellschaften und privaten Anbietern, informativ über eine zuverlässige Reise-App, preislich durch ein gemeinsames Ticketangebot und nicht zuletzt physisch durch zentrale Haltestellen, Parkplätze und Fahrradstationen integriert werden. Wer sich dieser komplexen Aufgabe annehmen wird – ob ein etablierter Verkehrsbetrieb oder ein privater Anbieter – wird derzeit noch heiß diskutiert.

Julia Pape