Abfall – Ressourcen auf Abwegen

Um eine nachhaltige Entwicklung, Wohlstand und Wirtschaftswachstum sicherzustellen, müssen Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen reduziert werden. Aus norwegischer Sicht ist ein Übergang zur Kreislaufwirtschaft entscheidend für Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit. Dabei spielt die Abfall- und Recyclingindustrie eine Schlüsselrolle.

Auf globaler Ebene nimmt die Abfallmenge exponentiell mit dem Bevölkerungswachstum zu. Gleichzeitig steigt das weltweite Bruttonationalprodukt und die Mittelschicht in den BRICS-Ländern, was dazu führt, dass mehr Rohstoffe benötigt werden als mit der Gewinnung primärer Rohstoffe beschafft werden können. Die Idee der Kreislaufwirtschaft ist nicht neu, die systematische Umsetzung und wirtschaftliche Denkweise sind jedoch revolutionär.

Recycling löst Ressourcenproblem

Im letzten Jahrzehnt ist die Abfall- und Recyclingindustrie deutlich gewachsen. 2015 beschäftige sie in Norwegen mehr als 8 700 Personen und erzielte einen Umsatz von mehr als 2,5 Milliarden Euro. Sie soll in erster Linie die Verwendung von recycelten Rohstoffen für die Herstellung neuer Materialen und Produkte verantworten sowie neue Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle für Abfallreduzierung und Recycling entwickeln. Damit hat sie sich von einem Akteur, der primär die Abfallentsorgung verantwortet, zu einem Hersteller, Lieferanten und Verkäufer von recycelten Rohstoffen wie Metallen, Pappe, organischen Abfällen, Glas oder Ölprodukten entwickelt.

Norsk Gjenvinning ist der größte Anbieter von Abfall- und Recyclingdienstleistungen auf dem norwegischen Markt und sieht in einer nachhaltigen Entwicklung und ganzheitlichen Kreislaufgesellschaft die Lösung für das zukünftige Ressourcenproblem. Weniger Abfall, mehr Recycling und eine stärkere Nutzung von Sekundärrohstoffen bei der Produktion neuer Waren, so die Vision. „Es gibt keinen Abfall mehr. In einer Kreislaufwirtschaft ist Abfall vor allem Rohstoff für eine neue Produktion“, sagt Thomas Mørch, Innovationsdirektor bei Norsk Gjenvinning. Dies erfordert zum einen Rahmenbedingungen, die zum verstärkten Einsatz von recycelten Rohstoffen stimulieren, zum anderen Geschäftsmodelle für die effizientere Nutzung, Wiederverwendung, Reparatur und das Recycling von im Umlauf befindlichen Rohstoffen.

Fahrplan für Kreislaufwirtschaft

2015 wurde ein von der norwegischen Regierung benannter Expertenkreis für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit beauftragt, in Zusammenarbeit mit Norsk Gjenvinning und den norwegischen Branchenorganisationen Avfall Norge und Vesar einen Fahrplan für die Kreislaufwirtschaft zu erarbeiten. Dieses Dokument definiert die Rolle der Abfall- und Recyclingindustrie beim Übergang zur Kreislaufwirtschaft, zeigt Chancen und Herausforderungen in der Branche auf, und enthält Empfehlungen für branchenbezogene und behördliche Maßnahmen.

Im Rahmen dieser Arbeit hat der unabhängige Thinkthank Club of Rome eine Studie zum Potential für Arbeitsplätze, Wertschöpfung und reduzierte CO2-Emissionen in Norwegen durchgeführt. Das Ergebnis stützt die These, dass Recycling und Ressourceneffizienz von großer Bedeutung für die norwegische Wirtschaft sein können: Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft kann mehr als 40 000 neue Arbeitsplätze schaffen, den CO2-Ausstoß um sieben Prozent senken und die Handelsbilanz um zwei Prozentpunkte verbessern – Nachhaltigkeit wird zum Wirtschaftsfaktor und Wettbewerbsvorteil.

Behörden als Innovationstreiber

Die Gesetzgebung ist bei dieser Entwicklung nicht irrelevant. „Wir können nicht mit einem veralteten Regelwerk arbeiten, wenn wir die Lösungen von Morgen schaffen“, meint Mørch. Mit dem EU-Paket für Kreislaufwirtschaft und der Änderung der Abfallrichtlinie hat man die Umstellung in Gang gesetzt und Diskussionen zu Sammellösungen, Lebensmittelabfällen oder gefährlichem Abfall ausgelöst.

Behörden stellen Anforderungen, setzen Impulse und schaffen die notwenigen Voraussetzung für den Übergang zur Kreislaufwirtschaft. Sie erarbeiten eine Strategie, die ehrgeizige Ziele zu Abfallreduzierung, Wiederverwendung und Materialrecycling enthält, und klare Anforderungen an die jeweiligen Marktakteure formuliert. Beispiele dafür sind die Herstellerverantwortung, der Einsatz klimaneutraler Kraftstoffe beim Abfalltransport und die Berichterstattungspflicht zur Abfallwirtschaft von börsennotierten Unternehmen. So werden Produzenten dazu motiviert, Ökodesign, Materialverbrauch und -verwertung zu optimieren und an zirkuläre Ambitionen anzupassen.

„Behörden können ein wirksamer Motor für diese Umstellung sein, wenn sie Instrumente entwickeln, die eine schnellere Veränderung herbeiführen als der Markt selbst erreichen kann.“ Bei öffentlichen Ausschreibungen müssen Anforderungen für den bevorzugten Einsatz von recycelten Materialien und ressourceneffizienten Lösungen gestellt werden. Investitionen und Exportzuschüsse tragen zu einer zunehmenden Innovationsbereitschaft, Technologieentwicklung und nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit bei. Ein Umdenken in der Branche wird nur erreicht, wenn moderne Lösungen nicht nur effizient und umweltfreundlich, sondern auch profitabel sind.

Um einen gut funktionierenden Markt mit hoher Innovationskraft und Ressourceneffizienz zu etablieren, müssen die geltenden Vorschriften kontrolliert und Verstöße entsprechend bestraft werden. Weitere Aufgaben der Behörden sind die Erarbeitung einer grünen Steuerpolitik, die Bekämpfung von Monopolen, die Erleichterung von Import und Export von Abfällen und recycelten Rohstoffen sowie die Einführung von Kennzeichnungsverordnungen und international anerkannten Zertifikaten.

Zusammenarbeit schafft Innovation

Der Markt ist der Schlüssel zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Die norwegische Industrie verfügt über ein großes Wertschöpfungspotenzial durch die Entwicklung und den Export von technologischen Lösungen für intelligentes Materialrecycling. „Anstatt auf Vorgaben durch Behörden zu warten, muss die Industrie selbst aktiv werden und Maßnahmen ergreifen“, sagt Mørch. Um die Nachfrage nach recycelten Rohstoffen zu erhöhen und den Übergang zur Kreislaufwirtschaft zu erleichtern, müssen Branchenstandards und gemeinsame Qualitätsanforderungen formuliert werden.

Ein wichtiger Faktor ist dabei die vertikale Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Akteuren wie Forschung, NGOs oder öffentlicher Sektor entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Durch eine verstärkte brancheninterne Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor sowie mit anderen Industriezweigen, entstehen andere Geschäftsmodelle als in traditionellen Kunden-Lieferanten-Verbindungen. Diese neuen Geschäftsmodelle sieht Mørch als Voraussetzung für echte Nachhaltigkeit in der Abfallwirtschaft: „Produkte, Lösungen und Kooperationsformen, die einen positiven Beitrag für die Umwelt, Gesellschaft und die Rentabilität des Unternehmens leisten“.

Kreislaufwirtschaft in der Praxis

Innovation kommt aus der Industrie und Norsk Gjenvinning treibt als Partner mit verschiedenen Projekten die Wende voran. 2013 wurde eine Zusammenarbeit mit GLAVA für die Entwicklung einer industriellen Verarbeitungslinie für Glasrecycling im Industriegebiet Øra bei Fredrikstad eingegangen. Dabei werden Glasfraktionen vorbehandelt und zerkleinert, bevor das Glas als Rohmaterial für die Herstellung von Isolationsmaterial verwendet wird. „Die Rohstoffe von Norsk Gjenvinning entsprechen etwa einem Drittel des Glasbedarfs von GLAVA und ersetzen den Glasimport sowie den Verbrauch neuer Rohstoffe.“ Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten und die Umwelt: Diese Lösung vermeidet die Verbrennung von als gefährlicher Abfall kategorisierten Isolierglasscheiben im Ausland, steigert die Rentabilität für beide Unternehmen und reduziert Emissionen als Folge eines geringeren Transportaufkommens und Rohstoffbedarfs. „Durch die neu etablierte Wertschöpfungskette wurden zudem neue Arbeitsplätze geschaffen“, so Mørch.

Ein weiteres Erfolgsbeispiel für Wertschöpfung aus Abfall ist die neue Anlage zur Herstellung von recyceltem Gipspulver, die noch 2018 in Holmestrand in Betrieb genommen wird. Obwohl Gips unendlich recycelbar ist, landen Abfälle oftmals auf Mülldeponien, wo sie Luft und Boden verschmutzen. Die Hälfte aller Gipsabfälle in Norwegen wird zukünftig in dem neuen Werk recycelt und wiederum an norwegische Gipshersteller verkauft.

Die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiger Teil des grünen Wandels, und Norwegen ist auf einem guten Weg von einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft hin zu zirkulären Lösungen für jegliche Abfallströme. Besonders in den Bereichen Lebensmittelindustrie, Landwirtschaft und Aquakultur hat Norwegen ein großes Potential. Abfall ist nicht mehr nur Abfall – es geht vielmehr um Werte, Innovation und Rentabilität.

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