Langskip-Projekt: Europäische Dimension als wichtige Kraft

Unser Vorstandsmitglied Liv Monica Stubholt verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich der Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) und hat als Anwältin, Geschäftsführerin sowie durch ihr politisches Engagement verschiedene Perspektiven kennengelernt. Bei einem Morgenkaffee sprachen wir mit ihr über das Langskip-Projekt, Nachhaltigkeitsarbeit und die bilaterale Zusammenarbeit in diesem Feld.

Wie arbeitet die Anwaltskanzlei Selmer mit Nachhaltigkeit?

Für eine bedeutende norwegische Wirtschaftskanzlei wie Selmer ist die Energiebranche ein wichtiges Thema. Wir haben in Norwegen die größte Energieabteilung für Anwaltsdienstleistungen. Hier möchte ich zwei Punkte nennen, die meiner Meinung nach zeigen, wie sich unsere Geschäftskunden mit diesem Thema auseinandersetzen. Zum einen haben wir auf meine Initiative hin eine Nachhaltigkeitsgruppe eingerichtet, die Wirtschaftsakteuren bei den rechtlichen Dimensionen von Nachhaltigkeit unterstützen soll. Früher ging es bei Nachhaltigkeit um bewährte Verfahren, Verhaltenskodizes, Ambitionen und Richtlinien. Jetzt sehen wir eine Entwicklung von diesem „Soft Law“ hin zum „Hard Law“ und verbindlichen Vorschriften. Das beste Beispiel ist die Taxonomie der EU, die – aus der Investorenperspektive – der Wirtschaft helfen soll, die Nachhaltigkeit ihrer Aktivitäten zu messen. Dies schafft einen Ausgangspunkt für Unternehmen, sich zu verbessern und sich neue an das Unternehmen angepasste Nachhaltigkeitsziele zu setzen.

Zum anderen haben wir bei Selmer unsere Energieabteilung darauf umgestellt, die Beratung aus Sicht von Energie, Umwelt und Klima durchzuführen. Ein neuer Name allein bringt noch keine Veränderung. Aber wir haben gesehen, dass es einen großen Effekt hatte, weil sich das Mindset geändert hat, wie wir arbeiten und welche Ziele wir uns setzen sollten. Es hat uns auch dabei geholfen zu reflektieren, wie die Wirtschaft diese Themen sieht. Wir haben das Glück, bei anderen modernen Unternehmen auf die gleiche Einstellung zu treffen und wir freuen uns über den Dialog mit deutschen Rechtspartnern wie Gleiss Lutz, Taylor Wessing, Luther, Noerr und Redeker.

Können Sie uns mehr zum Langskip-Projekt und der Bedeutung für Norwegen erzählen?

Es ist ein großes und strategisch wichtiges Infrastrukturprojekt mit einem finanziellen Rahmen von 2,2 Milliarden Euro entlang der gesamten Wertschöpfungskette – und genau das ist das Stichwort. Die gesamte Wertschöpfungskette von der Abscheidung über den Transport bis zur dauerhaften Speicherung von CO2 macht die innovative Kraft des Langskip-Projekts aus.

In diesem Projekt wird Kohlenstoff aus Industrieemissionen abgeschieden. Es gibt zwei Abscheideanlagen, aus denen dieser Kohlenstoff in die Wertschöpfungskette eingespeist wird. Das Gemeinschaftsprojekt von Fortum und der Oslo Kommune, Fortum Oslo Varme, bei dem ich Vorstandsvorsitzende bin, gewinnt CO2 aus der Verbrennung von Restmüll in Oslo. Dies geschieht, indem Rauchgas chemisch vom Kohlenstoff getrennt und abgeschieden wird, damit es nicht in die Atmosphäre gelangen kann. Neben diesem Projekt gehört auch eine zweite Abscheideanlage im Werk von HeidelbergCement in der Telemark zum Langskip-Projekt. Dort wird Kohlenstoff für den Schiffstransport zu einem Lager und Prozessterminal in Westnorwegen vorbereitet und anschließend über Rohre zum Speicherort transportiert. Dort wird der Kohlenstoff in den unteren Meeresboden injiziert.

Norwegen besitzt das größte Testzentrum für CO2-Abscheidung in Mongstad. Dort forschen auch internationale Unternehmen, wie Kohlenstoff aus Industrieemissionen abgeschieden werden können?

Ja, ich hatte das Vergnügen, damit zu arbeiten, als ich Aker Clean Carbon leitete und mit der Werftbereich bei Kværner zusammengearbeitet habe (heute Aker Solutions). Kværner ist eine typische Offshore-Werft, die über das richtige Know-how für den Bau einer Umwelttechnologieanlage verfügt und ein konkretes Beispiel dafür ist, dass die Kompetenz im norwegischen Öl- und Gassektor für die benötigten Umwelt- und Klimatechnologien von entscheidender Bedeutung sind. Das Technologiezemtrum in Mongstad (TCM) spaltet CO2 im weltweit größten sogenannten industrial scale pilot ab, um verschiedene Abscheidemethoden zu testen und zu dokumentieren. Als Pilotanlage war es sehr erfolgreich. Der Erfolg von TCM geriet durch die Einstellung des Großprojekts in Mongstad leider in den Hintergrund.

Wie kann das Langskip-Projekt gelingen? Sie haben bereits Fortum und HeidelbergCement erwähnt, aber braucht es nicht auch weitere Kunden?

Es ist ein von Norwegen finanziertes Projekt, aber mit einer europäischen Dimension. Die europäische Dimension ist eine wichtige Kraft hinter dem Langskip-Projekt ist. Der norwegische Sockel eignet sich geologisch gesehen optimal für die CO2-Speicherung. Das heißt nicht, dass von leeren Höhlen unter dem Meeresboden die Rede ist, sondern von porösen Felsen. Es funkioniert wie ein Schwammprinzip, bei dem Kohlenstoff in poröse Gesteinsformationen unter dem Meeresboden injiziert wird – so wie ein Schwamm mit einem kleinen Volumen viel Wasser aufsaugen kann. Nach einigen hundert Jahren wird es versteinern, was wiederum zum Ziel einer langfristigen und sicheren Speicherung beiträgt.

Um CO2-Ausstöße zu vermeiden, müssen diese auch bepreist werden. Inwiefern ist dies eine Voraussetzung, um dieses Projekt überhaupt finanziell attraktiv zu machen?

Es war lange eine Anomalie in unserer globalen Wirtschaft, dass Umweltverschmutzungen zu lange „kostenlos“ waren und so zur globalen Erwärmung beigetragen haben. Wenn diese allerdings nicht reguliert oder zu niedrig bepreist werden, gibt es keine ausreichenden Anreize zur Emissionsreduzierung. Deshalb bin ich einig, dass eine höhere CO2-Abgabe geben muss und somit die Kosten für Kohlenstoff-Emissionen erhöht werden, auch wenn das allein nicht ausreichend ist. Vor zehn Jahren gab es einen tapferen Versuch, CCS-Projekte in der EU unter dem sogenannten „Flagship Project“ zu etablieren. Damals ist dies nicht gelungen, und das lag vielleicht teilweise daran, dass die CO2-Bepreisung zu gering war.

Heute gibt es mehrere Werkzeuge oder Instrumente zur Emissionsreduzierung. Die EU-Taxonomie ist eines der Strukturbeispiele dafür. Ich bin daher optimistischer, weil es Treiber gibt, die uns zur Emissionsreduzierung drängen und die Kommerzialisierung von CO2-Abscheidung beschleunigen. Die Kosten für CCS sind noch immer hoch, aber diesen Ausgangspunkt kennen wir bereits aus dem erneuerbaren Sektor: Das erste Solarpanel und die ersten Windparks waren teuer und ineffizient im Vergleich zu dem, was wir heute kennen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass uns langfristig kein erheblicher Kostenfall gelingen wird – auch bei der CO2-Abscheidung in der Umwelttechnologie.

Um die CCS-Technologie nutzen zu können, muss in der Bevölkerung und Politik auch ein gewisser Wille vorhanden sein. Vor einigen Jahren gab es in Deutschland eine vollständige Blockade. Wie sehen Sie die Veränderung in diesem Bereich?

Glücklicherweise sehen wir jetzt eine ziemlich deutliche Veränderung in Deutschland. Das ist allmählich passiert und viele Faktoren haben dabei eine Rolle gespielt. Es gab einen Wendepunkt, als Angela Merkel 2019 erklärte, dass CCS-Technologie notwendig sei. Es stellt sich heraus, dass wir uns den Luxus nicht leisten können, ein oder zwei Instrumente auszuwählen, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Wir müssen tatsächlich das gesamte Spektrum nutzen.

Nach Merkels Aussage haben sich mehrere Politiker für Diskussionen über CCS geöffnet. In einem Artikel im Handelsblatt wurde letzte Woche festgestellt, dass es keinen Weg vorbei an der CCS-Technologie gibt. Die Grünen sind nun auch offen für den Dialog. Wird es wichtig sein, die Technologie auf Industrieemissionen zu beschränken?

Gerade Industrieemissionen sind eine große Herausforderung, die unabhängig von den Entwicklungen im Energiesektor gelöst werden muss. Das ist eine Realität, die nicht jeder teilt: Selbst wenn wir einen hundertprozentig emissionsfreien globalen Energiesektor hätten, müssten wir immer noch Klimatechnologie einsetzen, um die Emissionen aus dem Abfallmanagement, der Produktion von Aluminium, petrochemischen Produkten und Düngemitteln zu reduzieren. Fortum ist ein gutes Beispiel: Das Management von Restabfall nach dem Recycling aller wiederverwertbaren Restrohstoffe ist für eine moderne Gesellschaft absolut notwendig. CO2-Abscheidung von Emissionen aus der Müllverbrennung wird eine Schlüsseltechnologie für ein nachhaltiges Leben in Städten sein.

Nicht nur in Deutschland wird die Technologie diskutiert, auch in Norwegen gibt es einige Skeptiker. Viele denken, dass man Kohlenstoff lieber verwerten sollte als ihn im Meeresboden zu speichern?

Wir brauchen beides. Es gibt viele spannende Innovationsprojekte, die erforschen, wie wir CO2 in nützliche Produkte umwandeln können, beispielsweise durch die Verwendung in Plastikprodukten, Regalen, Möbeln und Bauelementen (Varianten von Leca-Blöcken) für Neubauten und Restaurationsobjekte. Hier gibt es Potenzial. Das Problem ist, dass zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens so viel Kohlenstoff abgeschieden wird, dass es kaum realistisch ist, das gesamte Volumen sinnvoll zu nutzen. Die Dimensionen stimmen nicht überein. Aber so viel CO2 wie möglich für gute Produkte zu verwenden – diesen Weg müssen wir gehen. Glücklicherweise gibt es spannende Milieus, die ständig neue Verwendungsmöglichkeiten für Kohlenstoff finden.

Wir brauchen mehr Klimaschutzmaßnahmen für Industrieemissionen, das betrifft viele Akteure. Bietet der Green Deal gute Rahmenbedingungen für deutsche und norwegische Unternehmen, die dazu beitragen möchten?

In Norwegen gibt es hunderte Menschen, die als CCS-Experten gelten können. Wir finden sie in der Wirtschaft, im Institutssektor, in Forschungsgemeinschaften und in der Verwaltung. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Gesetzgebung und die Verwaltung der Vorschriften ebenfalls eine besondere Kompetenz erfordert – hier leistet das norwegische Ministerium für Erdöl und Energie sehr gute Arbeit. Dieses starke Fachmilieu ist Teil einer internationalen Forschungs- und Entwicklungsstruktur und einer engen fachlichen Kooperation. Wir sehen auch den Willen zur bilateralen Zusammenarbeit. Die norwegischen Forschungs- und Entwicklungsmilieus, die bislang stark an der CO2-Abscheidung beteiligt waren, arbeiten häufig eng mit deutschen Kollegen, beispielsweise an den Fraunhofer-Instituten, zusammen. Der SINTEF-Stiftung in Trondheim ist es gelungen, den europäischen Status zu erhalten und gute Ergebnisse als CCS-Kompetenzzentrum zu liefern. Es gibt zudem deutsche Unternehmen wie Linde, die sich in mehreren Projektrunden an dem Thema beteiligt haben.