Windanlagen auf dem Meer werden eines der wichtigsten Themen während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in diesem Halbjahr sein. In Norwegen wurden kürzlich zwei Gebiete für den Ausbau von Windenergie auf See ausgewiesen. Wo liegt das Potenzial für eine verstärkte deutsch-norwegische Zusammenarbeit im Bereich Offshore-Windenergie?
Nicht ohne Grund ist der Begriff Offshore-Windenergie derzeit überall zu hören. Der weltweite Offshore-Windenergiemarkt befindet sich stark im Wachstum, und immer mehr Länder investieren in den Ausbau von Offshore-Windparks. 2019 gilt im Allgemeinen als Rekordjahr für den Ausbau von Offshore-Windanlagen. 2020 wird voraussichtlich noch besser: Bereits im ersten Halbjahr wurden 10 Prozent mehr in Offshore-Windenergie investiert als im gesamten Jahr 2019.
Eines der Länder, die umfassend investieren, ist Deutschland. Im Jahresverlauf 2019 wurde 3,6 GW Offshore-Windenergie in Europa installiert, wovon ganze 1,1 GW auf Deutschland entfallen. Verteilt auf rund 1 500 Turbinen sind in Deutschland derzeit 7,5 GW Leistung installiert.
Am 1. Juli 2020 hat Deutschland den Vorsitz im Rat der EU übernommen. Deutschlands Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat angekündigt, dass das Land diese Gelegenheit unter anderem dazu nutzen wird, Kooperationsprojekte zwischen den EU-Ländern im Bereich Windenergie auf See zu fördern. Derzeit liegt die in Europa installierte Leistung von Offshore-Windenergie insgesamt bei rund 22 GW. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission sind bis zu 450 GW nötig, um die Klimaziele der EU für 2050 erreichen zu können.
Im Gegensatz zu Deutschland steht Norwegen beim Ausbau von Offshore-Windenergie noch am Anfang. Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, dass die Entwicklung in diesem Bereich zu langsam geht und dass Norwegen Gefahr läuft, hinter Ländern wie Deutschland zurückzubleiben. Ebenso wie Deutschland hat auch Norwegen große Ressourcen im Bereich Windenergie auf See. Laut einem Bericht von Wind Europe könnte Norwegen bis 2050 seine Windenergiekapazität auf 30 GW in der Nordsee ausbauen.
Große Ambitionen in Deutschland
Während die Debatte über den Ausbau von Offshore-Windenergie in Norwegen hauptsächlich schwimmende Anlagen betrifft, geht es in Deutschland um am Meeresgrund verankerte Anlagen. Bisher hat dieser Anlagentyp auch die deutsche Offshore-Windenergie-Branche bestimmt. Seinen ersten Offshore-Windpark erhielt Deutschland 2009, und durch Investitionen von über 25 Milliarden Euro in den letzten 10 Jahren ist Deutschland nach Großbritannien heute der zweitgrößte Markt für Windenergie auf See weltweit. Deutschland ist es auch gelungen, eine starke Zulieferbranche und einen soliden inländischen Markt aufzubauen. Letztes Jahr wurden in Deutschland erstmals mehr Windenergieanlagen auf See als an Land errichtet.
Die deutsche Regierung hat kürzlich entschieden, das Ausbauziel für Offshore-Windenergie bis 2030 von 15 GW auf 20 GW zu erhöhen. Bis 2040 wurden 40 GW als Ziel formuliert. Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass es auf dem Weg dorthin keine Hindernisse gibt.
„Um das 20 GW-Ziel zu erreichen, sind aus unserer Sicht die Fortschreibung und Ausweitung des Flächenentwicklungsplans, eine Beschleunigung bei Planungs- und Genehmigungsverfahren und des Netzausbaus an Land sowie attraktive Ausschreibungsmodalitäten notwendig. Auch Planbarkeit ist wichtig, gerade bei Infrastrukturprojekten mit langen Vorlaufzeiten, und deshalb sind die neuen Ausbauziele der Regierung zu begrüßen“, erklärt Holger Matthiesen von RWE Renewables, einem weltweit führenden Akteur im Bereich Offshore-Windenergie. Laut Matthiesen beobachtet das deutsche Unternehmen die Marktentwicklung in der Bundesrepublik weiter sehr genau und ist bereit, sich weiter im Ausbau der Offshore-Windenergie zu engagieren. Derzeit hat RWE eine Leistung von 2,5 GW installiert und betreibt drei Offshore-Windparks in Deutschland, ein vierter ist im Aufbau.
Norwegen in den Anfängen
Norwegen hat noch keine Offshore-Windparks, aber auch hier tut sich etwas. Im Juni 2020 wurde bekannt, dass die Regierung die Gebiete Utsira Nord und Sørlige Nordsjø II für den Ausbau von Offshore-Windenergie in vollem Maßstab bis auf 4,5 GW ausweist. Während sich Utsira Nord nur für schwimmende Anlagen eignet, ist Sørlige Nordsjø II sowohl für schwimmende als auch für am Meeresgrund verankerte Anlagen geeignet. Ab Januar 2021 werden die Gebiete für die Vergabe von Konzessionen freigegeben. Anfang des Jahres gab das norwegische Ministerium für Erdöl und Energie bekannt, die Pläne für den Ausbau und den Betrieb von Hywind Tampen, dem weltweit größten und Norwegens erstem schwimmendem Offshore-Windpark, zu genehmigen. Durch Enova wird die norwegische Regierung das Projekt auch mit bis zu 2,3 Milliarden NOK unterstützen. Hinter Hywind Tampen steht Equinor, eines von mehreren norwegischen Unternehmen, die trotz des nicht vorhandenen Marktes im eigenen Land weltweit führend geworden sind. Viele würden diesen Ausbau begrüßen, warten aber gleichzeitig auf weitere Förderprogramme von politischer Seite.
„Ebenso wie in Deutschland liegen die Herausforderungen im Bereich Offshore-Windenergie in der Frage, welche Fördersysteme von staatlicher Seite für den Ausbau eingerichtet werden. Wie schnell der Ausbau erfolgt, hängt von den Systemen ab, von denen staatliche Stellen bei der Vergabe von Lizenzen ausgehen. Dies ist weder in Norwegen noch in Deutschland abschließend geklärt“, erklärt Jon Dugstad von Norwep, einem Unternehmen, das sich für die Internationalisierung der Zulieferbranche für den norwegischen Energiesektor einsetzt.
Trotzdem gibt es eigentlich keinen Zweifel, dass Norwegen gute Voraussetzungen hat, den Wandel von einer Erdöl- und Gasnation zur Offshore-Windenergie-Nation zu vollziehen.
„Das Potenzial für Offshore-Windenergie ist aufgrund sehr guter Windbedingungen und großer Meeresflächen in Norwegen enorm. Um dieses auch voll auszuschöpfen, müssen auf der Grundlage einer engen Verzahnung von Industrie, Forschung und staatlicher Seite geeignete Vorhabengebiete für Projekte ermittelt werden“, erklärt Matthiesen und fügt hinzu, dass die beiden vor kurzem ausgewiesenen Vorhabengebiete vor der Nordseeküste nach ersten Einschätzungen sehr gut geeignet sind.
Kann eine verstärkte Zusammenarbeit von Norwegen und Deutschland im Hinblick auf Offshore-Windenergie dazu beitragen, dass beide Länder ihr Potenzial voll ausschöpfen können? Und wo liegen die Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit?
Norwegen und Deutschland ergänzen einander
„Norwep ist überzeugt davon, dass die gesamte Wertschöpfungskette im Bereich Offshore-Windenergie Möglichkeiten für Zusammenarbeiten eröffnet – vom Vorhabenträger bis zum Zulieferer. Die Bereitstellung von Kapital durch mehrere Vorhabenträger wird darüber hinaus die Qualität der Projekte sicherstellen. Das haben wir insbesondere beim Arkona-Projekt gesehen, wo es zwischen Equinor und RWE während der Realisierung des Vorhabens eine sehr gute Zusammenarbeit gab“, erklärt Dugstad.
Arkona ist ein Offshore-Windpark vor Rügen in der deutschen Ostsee und ein Joint Venture zwischen RWE (vormals E.ON und RWE) und Equinor. Bis letztes Jahr hielten beide Unternehmen jeweils 50 Prozent an diesem Vorhaben. Dugstad ist nicht der einzige, der Arkona als Beispiel für die Gestaltung einer gelungenen norwegisch-deutschen Zusammenarbeit im Bereich Offshore-Windenergie nennt. Holger Matthiesen, der mit dem Projekt bestens vertraut ist, ist mit dem norwegischen Partner von RWE sehr zufrieden.
„RWE Renewables hat gemeinsam mit Equinor sehr erfolgreich den Offshore-Windpark Arkona realisiert. Der Windpark verfügt über eine Leistung von 385 MW und versorgt etwa 400 000 Haushalte mit erneuerbarer Energie. Die Errichtung der Windturbinen erfolgte innerhalb von nur drei Monaten und damit so schnell wie niemals zuvor. Das deutsch-norwegische Joint Venture hat damit einen neuen Maßstab für die Offshore-Windenergie-Branche gesetzt. Das Team, das deutsche Offshore-Wind-Erfahrung und Spezialkenntnisse aus dem Bereich Öl und Gas kombinierte, hat sich perfekt ergänzt. Diese Kombination ist auch eine gute Basis für künftige Kooperationsprojekte.“
Ebenso wie Matthiesen betont Dugstad, dass das Potenzial für die weitere Zusammenarbeit zwischen Norwegen und Deutschland im Bereich Offshore-Wind gerade darin liegt, dass sich die Länder im Bereich technische Spezialkenntnisse ergänzen: Beide verfügen über Know-how, das der jeweils andere benötigt.
„Während die norwegische Offshore-Branche langjährige Erfahrung aus dem Offshore-Betrieb im Bereich Öl und Gas besitzt, hat die deutsche Industrie mehr Erfahrung und Know-how im Bereich Serienproduktion und industrielle Prozesse. Beide Teile sind für eine effiziente und kostenoptimierte Realisierung von Offshore-Windprojekten notwendig“, so Dugstad.
Matthiesen von RWE weist überdies darauf hin, dass deutsche Unternehmen mit ihrem Detailwissen über Optimierung von technischen und operativen Prozessen in Offshore-Windenergieanlagen und ihrer Erfahrung aus der Entwicklung, dem Betrieb und der Wartung von Anlagen nach hohen Qualitätsstandards dazu beitragen können, dass der Ausbau des Offshore-Windmarkts in Norwegen wirklich Fahrt aufnimmt. Hierdurch werden sich langfristig auch neue Geschäftsmöglichkeiten für norwegische Unternehmen ergeben.
„Sollte Norwegen sich als Marktführer im Bereich schwimmende Offshore-Windenergieanlagen etablieren, würde dies für die vorhandene Lieferkette der Erdöl- und Gasindustrie, die dekarbonisiert werden soll, auch außerhalb des norwegischen Marktes eine Zukunftsperspektive eröffnen.“
Ebenso wie Equinor hat RWE mit Aktivitäten im Bereich schwimmende Offshore-Windenergieanlagen begonnen und testet derzeit eine schwimmende Anlage beim Marine Energy Test Centre vor der norwegischen Küste.
Nordseenetz als Potenzial
Nicht nur im Austausch von Know-how liegt ein Potenzial für eine internationale Zusammenarbeit. Laut Jon Dugstad ist es wahrscheinlich, dass eine Zusammenarbeit zwischen den Nordseeanrainern auch im Hinblick auf Netzlösungen, die einen effizienten Ausbau der Meeresfläche ermöglichen, notwendig wird.
„Hier wird die Stromübertragungskapazität zwischen Norwegen und Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Bereits jetzt sind die Konturen eines „Nordseenetzes“, das es ermöglichen wird, Strom von Projekten auf dem norwegischen Kontinentalschelf ohne den Umweg über Norwegen in andere Strommärkte zu exportieren, erkennbar.“
Auch an der Einrichtung eines Nordseenetzes wird in Deutschland intensiv gearbeitet. Ein Konsortium, das unter anderem aus dem deutsch-niederländischen Netzbetreiber TenneT besteht, untersucht die Möglichkeit, sogenannte Wind Power Hubs in der Nordsee zu bauen. Hierbei handelt es sich um künstliche Energieinseln, die die Verteilung der Windenergie von Anlagen auf See an Land einfacher und kostengünstiger gestalten würden. Bisher sind keine norwegischen Akteure an dem Projekt beteiligt.
Über Möglichkeiten der deutsch-norwegischen Zusammenarbeit im Bereich Offshore-Wind und wie beide Länder ihre Ressourcen voll ausschöpfen können, diskutieren wir am 26. August, im fünften und letzten Teil unserer Webinar-Serie zum German-Norwegian Energy Dialogue. Melden Sie sich kostenlos an und hören Sie Beiträge der Hamburger Clusteragentur für erneuerbare Energien, RWE, SINTEF, Aibel und Norwep.
Marianne Grønning
Übersetzung: Global Scandinavia