F&E: Großes Potenzial für Bilaterale Zusammenarbeit

Bilaterale Forschungsinitiativen und Innovationsförderung leisten einen wesentlichen Beitrag zur industriellen Wettbewerbsfähigkeit Europas und sind von großer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Die Arbeitsgruppe für Forschung und Entwicklung der AHK Norwegen hat sich zum Ziel gesetzt, Potentiale für deutsche und norwegische Akteure bei europäischen Projekten zu identifizieren und das bilaterale Netzwerk bei Geschäftstätigkeiten zu unterstützen.

Wir haben mit Dr. Erik Ferdinand Øverland, Visiting Representative und Entsandter für Bildung und Forschung bei der Königlich Norwegischen Botschaft in Berlin, eingehender über dieses Thema gesprochen.

Wo sehen Sie für die deutsch-norwegische Arbeitsgruppe für Forschung und Entwicklung konkret Möglichkeiten, einen Beitrag zu Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu leisten?

Ich würde gerne vorausschicken, dass die norwegische Regierung das Ziel verfolgt, Norwegens Verhältnis zu Deutschland auf einer Reihe von Gebieten zu stärken. Die entsprechenden Pläne wurden in einer gesonderten Deutschlandstrategie formuliert. Hieraus geht hervor, dass diese auch die Forschungs- und Bildungspolitik einschließt, insbesondere die Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft. In welchen Hinsichten das Forschungs- und Bildungssystem einerseits und Innovation und Wertschöpfung anderseits einander wechselseitig bereichern können, steht mehr denn je auf der Tagesordnung. Dies lässt sich an der Einrichtung der europäischen Forschungsprogramme und an den Erwartungen verschiedener gesellschaftlicher Akteure ablesen. In diesem Kontext ist die deutsch-norwegische Arbeitsgruppe für Forschung und Entwicklung zu sehen. In Deutschland haben Verbindungen von Industrie und Wissenschaft seit langer Zeit Tradition. In Norwegen gilt das für einzelne Bereiche. Dabei haben beide Länder unterschiedliche Perspektiven auf diese Schnittstelle. Deswegen bin ich überzeugt davon, dass eine solche Zusammenarbeit zu einem länderübergreifenden Erfahrungsaustausch und Lernprozess führen kann, nicht nur in Form konkreter Kooperationen zwischen verschiedenen wirtschaftlichen Akteuren oder zwischen Wirtschaftsakteuren und entsprechenden Forschungsfeldern, sondern auch auf strategischer Ebene. Um konkrete Ergebnisse erreichen zu können, müssen politische Ziele und Instrumente möglichst effektiv und präzise sein.

Bei der Einrichtung der Gruppe herrschte bereits im Vorfeld Einigkeit darüber, dass alles möglichst konkret gestaltet werden sollte. Da die Handelskammer bereits bestehende Arbeitsgruppen hatte, haben wir zunächst eine hiervon ausgewählt: Meerestechnologien. In der Gruppe sind Industrieunternehmen aus beiden Ländern vertreten. Unsere Aufgabe besteht in diesem Rahmen darin, die Gruppe dazu anzuregen, Forschungskooperationen und Beiträge zum Forschungs- und Bildungssystem in ihre Agenda einzubeziehen. In diesem Zusammenhang spielt die Finanzierung von Forschung eine große Rolle. Insbesondere deutsche Akteure haben im Hinblick auf die Beantragung von Forschungsmitteln aus den europäischen Rahmenprogrammen für Forschung und Innovation (Horizont 2020/Horizont Europa) die Erfahrung gemacht, dass es für eine Positionierung bereits zu spät ist, wenn die Förderbekanntmachungen dieser Programme veröffentlicht werden. Wer bereits eine mögliche Forschungskooperation etabliert hat, kann erfahrungsgemäß leichter hiervon profitieren. Die Rolle der Arbeitsgruppe kann und wird darin bestehen, solche frühzeitigen Forschungskooperationen zu fördern. Hierzu beteiligen wir uns aktiv an Prozessen mit den Akteuren. Wir führen mit den Wirtschaftsakteuren aber auch einen Dialog über ihre Bedürfnisse, nehmen diese auf und geben sie an das politische und administrative System weiter.

„Meiner Auffassung nach kann und sollte der Weg nach Europa über bilaterale Kooperationen führen.“

Erik Ferdinand Øverland

Eine weitere Dimension, mit der sich die Gruppe bereits auseinandergesetzt hat, ist die Bedeutung einzelstaatlicher Fördermittel. Dies betrifft sowohl die Beihilfen, die die internationale Zusammenarbeit fördern, als auch die Zuwendungen, die sich nur an Akteure im eigenen Land richten. Ganz konkret hat sich die Gruppe die sogenannten 2+2-Projekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung angesehen. Darüber hinaus wird der Unterzeichner die Initiative ergreifen, einen Überblick über sonstige Fördermittel auf norwegischer und deutscher Seite zu erstellen, die potenziell auf die Koordination einer bilateralen Kooperation zwischen Forschung und Industrie ausgerichtet werden könnten. Gibt es in Norwegen Fördermittel, die Fördermitteln in Deutschland direkt entsprechen, sodass norwegische Wirtschaftsakteure durch die norwegischen Fördermittel finanziert werden können, während die deutschen Akteure im selben wirtschaftlichen Kooperationsbereich auf die deutschen Programme zurückgreifen? Die Idee ist, dass die einzelstaatliche und bilaterale Ebene die länderübergreifende Ebene stärken können, wobei sich länderübergreifende Instrumente besser auf konkrete Bedürfnisse und Ambitionen norwegischer und deutscher Unternehmen ausrichten lassen.

In welchen Branchen und Segmenten sehen Sie in einem bilateralen Kontext das größte Potenzial für Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die zu einem wesentlichen Fortschritt in einer Branche beitragen können?

Die Auswahl einzelner Branchen und Segmente ist wirtschafts- und forschungspolitisch schon immer eine kontroverse und schwierige Praxis gewesen. In Norwegen spricht man häufig von der sogenannten Branchenneutralität bei der Vergabe von Fördermitteln, während man in Deutschland in der Wirtschaft häufig einzelnen Branchen und/oder Segmenten expliziter einen stärkeren Vorrang eingeräumt oder in diese investiert hat. Vieles spricht jedoch dafür, dass wir um eine direktere Vorgehensweise nicht herumkommen. Persönlich glaube ich, dass reine Branchenneutralität auf längere Sicht keine nachhaltige Innovations- und Forschungspolitik ist. Hieraus ergeben sich eine Reihe neuer Anforderungen für die Gestaltung der Innovationspolitik. Deutschland und Norwegen arbeiten ja bereits seit langer Zeit in Bereichen wie Energie, Gas, Meer und Wasserstoff zusammen, um nur einige zu nennen. Es gibt viele Möglichkeiten für eine deutsch-norwegische Zusammenarbeit, auch auf Gebieten, wo es derzeit keine umfassenden Kooperationen gibt. Ich habe beispielsweise 2019 ein Seminar in Berlin gehalten, an dem norwegische und deutsche Akteure teilgenommen haben. Bei der Arbeit hieran wurde deutlich, dass sich derzeit Kooperationen in Bereichen wie künstlicher Intelligenz und anderen Formen neuer Technologien entwickeln. In den Geistes- und Sozialwissenschaften gibt es seit Langem eine umfassende Kooperation zwischen den beiden Ländern, die auch weiterhin bestehen wird. In den beiden letztgenannten Fachrichtungen tut sich derzeit eine Menge, nicht zuletzt aufgrund der Relevanz geistes- und sozialwissenschaftlicher Ansätze für neu entstehende Technologiebereiche, die in der Verlängerung auch Märkte und die wirtschaftliche Entwicklung beherrschen könnten. Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit des Einstein Center for Digital Future in Berlin mit Simula in Oslo und dem CAIR-Center, das an der Universität Agder an künstlicher Intelligenz forscht. In mehreren Bereichen ist Deutschland der wichtigste Kooperationspartner für Norwegen. Nichtsdestotrotz gibt es ein Potenzial für weitere Zusammenarbeiten. Auch rein strategisch besteht großes Potenzial für Kooperationen. Über eine konkrete Forschungskooperation und die Koordination von Fördermitteln hinaus könnten norwegische Hochschulen beispielsweise im Rahmen von gemeinsamen Master- und Promotionsstudiengängen zusammenarbeiten.

In Ihrer Deutschlandstrategie führt die norwegische Regierung wichtige Ziele der deutsch-norwegischen Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Forschung, Bildung und Kultur auf.

Viele Unternehmen kennen die Finanzierungsmöglichkeiten nicht. Was würden Sie einem kleinen oder mittelständischen Unternehmen empfehlen, das sich einen Überblick über mögliche Förderquellen verschaffen möchte? Wie können teilnehmende Unternehmen aus beiden/allen Ländern bei einem festgelegten Forschungsprojekt vorgehen, um Zugang zu Fördermitteln zu erhalten, insbesondere wenn einem Unternehmen die Finanzierung bereits bewilligt wurde?

Das ist ein Problem, das sich immer wieder stellt. Und es ist ganz offensichtlich, dass Behörden und Fördermittelsysteme die Koordination von Fördermitteln, Programmen und europäischen Möglichkeiten weiter optimieren müssen, damit bestimmte kleine und mittelständische Unternehmen hiervon leichter profitieren können. Es sollte auch besser darüber informiert werden, wie solche Unternehmen sich positionieren können. Auf der anderen Seite hat sich sowohl auf EU-Ebene als auch einzelstaatlich schon einiges getan, um die Schwelle für diese Zielgruppe zu senken.

Es wurde in dieser Zeitschrift schon einmal nach einem System gefragt, das zwischen den Regierungen der beiden Länder positioniert ist und eine solche Forschungskooperation erleichtern und unterstützen sollte. Mir erscheint das eine gute Idee. Wenn nicht ein eigenes, klar festgelegtes System, dann zumindest ein besser abgestimmtes Fördermittelsystem, das eingerichtet wird, um eine bilaterale Forschungs- und Bildungskooperation neben den rein europäischen Instrumenten zu fördern. Meiner Auffassung nach kann der Weg nach Europa über bilaterale Kooperationen führen und sollte es auch.

Welche Vorgehensweise würden Sie empfehlen, wenn ein Unternehmen den konkreten Bedarf eines bilateralen Forschungsprojekts sieht oder sich ein entsprechendes Projekt wünscht?

Für ein norwegisches Unternehmen sind die ersten Anlaufstellen Innovation Norway und der norwegische Forschungsrat und die jeweiligen Branchenverbände. Entsprechend sollten sich deutsche Akteure an ihre Behörden und Anlaufstellen für Fördermittel wenden. Anschließend würde ich mich mit Unternehmen kurzschließen, die Fördermittel erhalten haben, sei es auf europäischer, staatlicher oder regionaler Ebene. Nicht nur, um von ihnen zu lernen, sondern auch, um die Möglichkeit einer Partnerschaft auszuloten.

Günstig ist auch, sich möglichst frühzeitig an entsprechende Forschungseinrichtungen zu wenden, insbesondere an Stellen, die Erfahrung mit dieser Art von Forschungskooperationen haben. Außerdem müssen auch die Behörden und die Fördermittelsysteme ihre Kontaktmöglichkeiten verbessern und ihr Angebote weiter ausbauen.