Norwegen ist für seine ambitionierten Klimaziele bekannt. Bis 2025 sollen alle Baustellen nahezu emissionsfrei werden. Die Branche arbeitet intensiv an guten Rahmenbedingungen und geeigneten Klimaschutztechnologien für fossilfreie Baustellen. Mit dieser Initiative übernimmt Norwegen wieder einmal die Vorreiterrolle und könnte mit vollkommen emissionsfreien Baustellen sogar langfristig ein norwegisches Exportprodukt etablieren.
Bislang werden auf norwegischen Baustellen vorwiegend fossile Energiequellen eingesetzt. Nach Angaben der Klassifizierungsgesellschaft DNV GL werden dort pro Jahr bis zu 420 000 Tonnen CO2 ausgestoßen – dies entspricht den Emissionen aller Pkw und leichteren Fahrzeugen in Oslo. Mit dem Einsatz alternativer Energiequellen und einer besseren Planung können fast 99 Prozent dieser Emissionen eingespart werden: Bis 2025, so das Ziel der Regierung, sollen alle Baustellen ohne fossile Energie betrieben werden.
„Wir träumen davon, dass Norwegen damit beginnt, gute Klimalösungen anstelle von Öl zu exportieren.“
Lan Marie Nguyen Berg, Stadträtin für Umwelt und Verkehr in Oslo
Große Ambitionen für das Klima
Eine fossilfreie Baustelle zeichnet sich dadurch aus, dass Benzin, Diesel oder Heizöl für den Betrieb von Maschinen, das Trocknen und Beheizen von Gebäuden sowie der Transport von Baumaterialen und Ausrüstungen von und zur Baustelle vermieden werden. Strom, Fernwärme und andere nicht-fossile Lösungen sind dabei gute Alternativen in der Bauphase. Baumaschinen und Transportfahrzeuge werden elektrifiziert oder mit nachhaltigem Biokraftstoff betrieben. Auf vollkommen emissionsfreien Baustellen sind sogar Biokraftstoffe tabu – es darf nur grüner Strom verwendet werden.
Ab 2022 verschwinden Mineralöl, Benzin und Diesel per Regierungsbeschluss von norwegischen Baustellen; ab 2025 darf auch kein Gas mehr verwendet werden. Die Verbote sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg von fossilfreien zu vollkommen emissionsfreien Baustellen. „Wir träumen davon, dass Norwegen damit beginnt, gute Klimalösungen anstelle von Öl zu exportieren“, sagt Lan Marie Nguyen Berg, Stadträtin für Umwelt und Verkehr in Oslo, im Teknisk Ukeblad, „Und deshalb müssen wir auch solche Forderungen stellen.“
Der öffentliche Sektor hat bei der Klimapolitik eine Schlüsselrolle inne und soll mit gutem Beispiel vorangehen: Seit 2017 sind neue kommunale Bauvorhaben in Oslo ohne fossile Energiequellen umzusetzen und möglichst schon während der Bauphase an das Strom- und Fernwärmenetz anzuschließen. Am 10. April erklärte die Regierung, den Anteil an klimafreundlichen öffentlichen Beschaffungen und grünen Innovationen, insbesondere in der Baubranche, weiter zu erhöhen.
Grüner Leitfaden für Branchenakteure
Im Auftrag mehrerer Interessenorganisationen wie Energi Norge, Enova, Norsk Fjernvarme und Bellona hat DNV GL einen Leitfaden für die Energie- und Bauindustrie erarbeitet, der die Entscheidung für effizientere Energielösungen erleichtern soll. Darin werden Treiber, Hürden, Chancen und Herausforderungen der aktuellen Beschaffungspraxis identifiziert und konkrete Handlungsanweisungen zur Implementierung fossil- und emissionsfreier Bauprojekte gegeben.
Der norwegische Klima- und Umweltminister Ola Elvestuen sieht darin ein praktisches Instrument, um den Erwartungen von Klimapolitik, Gesellschaft und Auftraggebern gerecht zu werden. „Der Leitfaden bietet Bauunternehmern die Möglichkeit, sich die bestmögliche Kompetenz über fossil- und emissionsfreies Bauen anzueignen, sodass Bauherren tatsächlich damit beginnen können, diese Form der Baustelle einzufordern“. Konkrete Umweltanforderungen bei Auftragsausschreibungen durch die öffentlichen und privaten Bauherren seien der wichtigste Anreiz für die Umstellung auf nachhaltige Alternativen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die Branche muss sich dann anpassen, wird bei Maschinenherstellern und Zulieferern entsprechende Lösungen nachfragen, und so die technologische Entwicklung vorantreiben.
Fossil- und emissionsfrei – aber wie?
In einem Bericht von Sintef Byggforsk aus dem Jahr 2018 werden neben fehlenden Vorgaben der Bauträger mangelndes Know-how, begrenzt verfügbare Technologien sowie Mehrkosten als wesentliche Herausforderungen benannt.
Bauherren und Lieferanten sehen einen großen Bedarf an Kompetenzbildung und Erfahrungsaustausch zu fossil- und emissionsfreien Alternativen. Der benannte Leitfaden ist hierbei lediglich eine Starthilfe. In Zukunft sollen Informationen über Lieferanten mit verfügbaren Technologien in einem Webportal gesammelt werden, um einen besseren Marktüberblick über relevante Akteure zu schaffen. Gleichzeitig bietet das System große Vorteile für norwegische Lieferanten, sich fachlich zu informieren, ihre Wettbewerber zu identifizieren und neue Geschäftspartnerschaften zu schließen.
Viele Unternehmen sind bereit, in innovative Technologien zu investieren. Aufgrund der geringen Nachfrage sind diese jedoch oftmals nur begrenzt auf dem Markt verfügbar, oder müssen erst bestellt beziehungsweise umgebaut werden. Zudem sind die Kosten deutlich höher als bei konventionellen Lösungen, sodass Investitionen in neue Lösungen nicht unbedingt einen Wettbewerbsvorteil darstellen. Innovation Norway, der Forschungsrat oder Enova bieten daher öffentliche Förderprogramme: „Enova setzt sich dafür ein, dass fortschrittliche Unternehmen gefördert werden, und so der Markt auf Angebots- und Nachfrageseite wächst. Wir unterstützen den Kauf von schwereren Fahrzeugen und Baumaschinen mit Biogasantrieb. Wir können aber auch innovative Konzepte für das fossilfreie Beheizen von Baustellen finanzieren “, meint Nils Kristian Nakstad, Geschäftsführer von Enova. Wenn die Emissionen bereits im Jahr 2025 wegfallen sollen, braucht es aber auch Hilfe aus dem Ausland: Die internationale Nachfrage sorgt für eine größere Auswahl und niedrigere Kosten für emissionsfreie Maschinen und für wettbewerbsfähige Bedingungen in diesem Sektor.
Norwegen – der ewige Vorreiter
Als größte Festlandindustrie des Landes spielt die Bauindustrie eine wichtige Rolle bei den Emissionssenkungen, die Norwegen bis 2030 erreichen will. Die Umstellung auf fossil- und emissionsfreies Bauen erfordert zwar große Investitionen und die Entwicklung entsprechender Geschäftsmodelle und Infrastrukturen – sie ist jedoch kein Zukunftsszenario. Der Übergang zu fossilfreien Baustellen ist in vollem Gange: „Bis 2025 kann die Branche gut reagieren und die einzelnen Akteure haben ausreichend Zeit für die Umstellung. Obwohl wir gute Pionierprojekte haben, ist es aber nicht für alle einfach, die Abläufe zu ändern. Was zählt, ist, dass jeder damit beginnt, seine Emissionen zu reduzieren “, äußert sich Elvestuen gegenüber der Presse.
Und das nächste langfristige Ziel ist schon in Sicht: Mit dem Pilotprojekt in der Olav Vs gate ist nun auch der Startschuss für emissionsfreie Baustellen in Oslo gefallen. Auch wenn damit noch keine Mindestanforderung für nachfolgende Projekte einhergeht, wird der grüne Wandel dadurch beschleunigt, und der Druck auf andere Länder zunehmen. „Das zeigt, dass Norwegen ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist. Niemand ist bei der Reduzierung von CO2-Ausstößen im Transport- oder Bausektor so weit gekommen wie wir “, sagt Elvestuen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis emissionsfreie Baustellen zum neuen Branchenstandard werden. „Wir werden der Welt zeigen, dass emissionsfreie Baustellen möglich sind, und andere dazu motivieren, es uns gleich zu tun.“